Springe zum Inhalt Springe zur Hauptnavigation

Die Zeit, Volker Hagedorn, 23.5.2013

...
Bei der Uraufführung in Bregenz hatte David Pountney die beiden Welten in drastischem Realismus getrennt, in Karlsruhe vereinen Regisseur Holger Müller-Brandes und Ausstatter Philipp Fürhofer sie auf spiegelnder Fläche, auch sonst sind immer beide Welten präsent. Doch wird damit nicht die Perspektive zerstört, die die frühere Täterin zuerst als Privatperson zeigt? Dem steht nicht nur die anrührende, strahlende Intensität der Lisa-Darstellerin Christina Niessen entgegen, sondern auch die Musik. Wenn die Erinnerung einsetzt, senkt sich eine akustische Schranke: 41 Takte lang ertönt vom Vibrafon dieselbe Quinte. Sanft fast, aber unerbittlich. Genauso arbeitet auch die Regie. Niemand trägt hier Hakenkreuz, manche »Neuzugänge« kommen gar mit modernen Rollkoffern an, die männlichen SS-Leute sind eher Karikaturen – und doch wird das KZ nicht relativiert. Es gleicht vielmehr einem Bewusstseinsraum, in dem aus Opfern Menschen werden. Da ist der herbe Stolz von Marta (der fantastischen Sopranistin Barbara Dobrzanska), die die Aufseherin Lisa so fasziniert, dass es an Liebe grenzt. Da ist der Stolz des Geigers, der dem Kommandanten nicht den gewünschten Walzer spielt, sondern mit Bachs Chaconne in den Tod geht. Unfassbar, welche Vielfalt von Renaissance bis Foxtrott Weinberg einsetzt, ohne die Identität seiner Musik zu gefährden.


Die Rheinpfalz, Sigrid Feeser , 23.5.2013

...
Langsam beginnt man sich an den spezifischen Weinberg-Ton zu gewöhnen, dieses geradezu eklektische Aufeinandertreffen von dicht gewirkter Leitmotivik, Zwölftonmusik, Jazz, Tanz- und Volksmusik, von zum Teil fast wörtlichen Reminiszenzen an die musikalischen Grotesken des Freundes Schostakowitsch, an Benjamin Britten, Penderecki und Alban Berg und an die gleich Sternschnuppen aufblitzenden Schubert- und Beethoven-Zitate. Ein Wunder, wie Weinberg es geschafft hat, trotzdem ein eigenes Idiom zu kreieren. Grandioser Höhepunkt ist die Szene, in der Martas Verlobter Tadeusz, bevor er erschlagen wird, dem Lagerkommandanten seinen Lieblingswalzer vorspielen soll. Stattdessen erklingt die Chaconne aus Bachs d-Moll-Suite, die zunehmend in ein musikalisch zerschreddertes Massaker übergeht.


Frankfurter Rundschau, Hans-Klaus Jungheinrich, 22.5.2013

... „Die Passagierin“ verklammert im Stück unmittelbare Lagererfahrung und nachträgliche „Vergangenheitsbewältigung“ der Täterseite. Die ehemalige KZ-Aufseherin Lisa, jetzt mit einem Karrierediplomaten verheiratet, begegnet auf einer Seereise einer geheimnisvollen Passagierin, in der sie eine totgeglaubte Lagerinsassin wiedererkennt, zu der sie eine ambivalent-besondere, aus Zuwendung und Sadismus gemischte Beziehung hatte. Der Anblick dieses menschlichen Phantoms generiert in Lisa vergessene oder verdrängte Bilder von Auschwitz (…) Dabei entsteht eine Vokalität der „Leidensentrückung“, die den Klang äußerster menschlicher Einsamkeit auch imaginiert durch eine sparsame, bis zur Unmerklichkeit reduzierte Instrumentalgrundierung. Niemand außer Weinberg riskierte es, das unsagbar Schreckliche so ungeschützt in musikalischer „Schönheit“ aufzuheben und dabei etwas prinzipiellUnmögliches dennoch möglich zu machen – wenn irgend etwas als künstlerischer Ausdruck von Wagemut und Radikalität anzusprechen ist, dann dies.
Eindringliche Vokalverkörperungen bis in die kleinsten Rollen. Als Lisa war Christina Niessen mit klarer, prägnanter Diktion während der gesamten Aufführungsdauer auf der Bühne anwesend. Lyrisch subtil in geradezu sommnambuler Präsenz die Marta von Barbara Dobrzanska. Charaktervoll Andrew Finden als Häftling Tadeusz. Mit komödiantischer Verve brachte Matthias Wohlbrecht seinen Tenor für den Karrieristen Walter ins Spiel. Mit Umsicht und Zuverlässigkeit gaben die Badische Staatskapelle und der Dirigent Christoph Gedschold dem sprachmächtigen Musikstrom Kontur.


Badische Neueste Nachrichten, Rüdiger Krohn, 21.5.2013

...
Das Publikum feierte nach einem Moment betroffenen Schweigens das gesamte Ensemble mit intensivem Beifall, der sich, als die greise Autorin Posmysz auf der Bühne erschien, zu Standing Ovations steigerte. Zu Recht, denn diese „Passagierin“ ist ein großer Opernabend abseits der gewohnten Pfade. Sehenswert!


SWR2, Wiebke Gerking, 21.5.2013

...
Gesungen wird hervorragend: Hier Barbara Dobrzanska als Marta. Christina Niessen als ihre Gegenspielerin Lisa steht in nichts nach. Von der Badischen Staatskapelle Karlsruhe unter Christoph Geschold wird die Partitur hervorragend umgesetzt. Man trifft den richtigen Ton für jede Passage. Ein hervorragender Opernabend.


Pforzheimer Zeitung, Nike Luber, 21.5.2013

...
Aber kann man Auschwitz überhaupt auf die Bühne bringen? Regisseur Holger Müller-Brandes und Ausstatter Philipp Fürhofer setzen auf Abstraktion. Das Schiff, auf dem Lisa der Passagierin nicht ausweichen kann und sich ihrer Vergangenheit stellen muss sowie die Rückblenden in die Zeit im KZ, es ist die gleiche, leicht nach vorn gekippte Spielfläche. Andeutungen reichen aus, wie der weiße Rauch, der auf den Hintergrund projiziert wird. Semitransparente, bewegliche Elemente sind die Wand von Lisas Kabine, aber auch die der Häftlingsbaracke, in der Marta und ihre Mitgefangenen ums tägliche Überleben kämpfen.

Christina Niessen zeichnet das spannende Portrait einer jungen Frau, die als Aufseherin über Macht verfügt, und diese auch ausspielt. Differenziert gestaltet sie Lisas Ängste, ihr Unbehagen und Aufbegehren. Barbara Dobrzanska gibt die Rolle der Polin Marta mit größter Ausdruckskraft. Überzeugend vermittelt sie Martas innere Stärke, selbst dann, als ihr geliebter Tadeusz hingerichtet wird. Andrew Finden demonstriert als Martas Verlobter Tadeusz die große Geste im Angesicht des Todes. Er spielt dem Lagerkommandanten nicht den gewünschten Walzer vor, sondern eine Chaconne von Bach. Die Kunst triumphiert über die Unmenschlichkeit.


Mannheimer Morgen, Lotte Thaler, 21.5.2013

...
Weinbergs „Passagierin“ – und das macht ihre kaum zu beschreibende, psychologische Wirkung aus – ist kein „Opferstück“. Vielmehr erfahren wir etwas über die Traumata der Täter. Die polnische Autorin Zofia Posmysz, selbst eine Auschwitz-Überlebende, beschreibt in ihrem Roman, wie die ehemalige KZ-Aufseherin Lisa ihrer Albträume nicht mehr Herr wird. Daraus hat Alexander Medwedjew das Libretto für Weinberg verfasst. Weder Weinberg noch Medwedjew konnten die szenische Erstaufführung in Bregenz erleben – Weinberg starb 1996, Medwedjew 2010, wenige Tage nach der Premiere. Aber Zofia Posmysz war jetzt nach Karlsruhe gekommen, eine zerbrechliche alte Dame von bald 90 Jahren, vor der sich das gesamte Opernhaus erhob, als Bernd Feuchtner sie auf die Bühne führte, um eine Verehrung auch von Seiten des Ensembles entgegenzunehmen, die ihr ganz rätselhaft schien.


der opernfreund.de, Ludwig Steinbach, 21.5.2013

...
Holger Müller-Brandes setzte bei seiner Regiearbeit weniger auf die Schilderung atmosphärisch stringenter KZ-Gräuel, wie sie Andrzej Munks nach Frau Posmyszs Roman gedrehten Film prägen - diesen Aspekt vermisste man schon etwas -, sondern näherte sich dem Werk von einer abstrakten, psychologischen Seite her. Für ihn sind die Handlungsträger Teilnehmer einer Versuchsanordnung, die zunehmend aus dem Ruder läuft und im Chaos endet. Der Vergnügungstanz der Passagiere auf dem Schiff mutiert zu einem Tanz der KZ-Insassen in den Tod, wobei der Chor im Hintergrund und an den Bühnenrändern in konzertantem Rahmen aus Notenbüchern singt. Der von Philipp Fürhofer - von ihm stammen auch die gelungenen Kostüme - geschaffene Einheitsbühnenraum, der von zahlreichen verschiebbaren Spiegelfragmenten dominiert wird, vereinigt in sich die zwei Handlungsstränge des Ozeanriesen und von Auschwitz. In Lisas Vorstellung verschwimmen die beiden Ebenen zunehmend miteinander und die Passagiere werden zu jüdischen Häftlingen. Das Ganze ist weniger äußerlicher als vielmehr innerer Natur. Die Spiegelgläser und der ebenfalls reflektierende Boden sind als Spiegelbild der Seele aufzufassen. Das Geschehen ist gleichsam eine Reise der beiden Protagonistinnen, insbesondere Lisas, in sich selbst, ist Ausdruck von Angst, Gewissensqual und Not, wobei Täter- und Opferperspektive rigoros zusammenprallen. Auch überzeugende Symbolik kommt in Müller-Brandes Deutung nicht zu kurz.
...


dpa, Martin Roeber, 19.5.2013

Das Badische Staatstheater setzt sich jetzt für Weinbergs 1968 vollendete Oper »Die Passagierin« ein. Weinbergs Werk ist den Opfern von Auschwitz gewidmet. Ein sperriges Thema; doch die Musik packt das Premierenpublikum am Samstagabend unmittelbar. Nach drei atembeklemmenden Stunden gibt es befreienden, aufatmenden Applaus.

Eng angelehnt an Zofia Posmysz' Romanvorlage schildert Weinbergs Oper die Ozean-Überfahrt des jungen deutschen Karrierediplomaten Walter zu seinem ersten wichtigen Job als Botschafter nach Brasilien. Der Wirtschaftswunderdeutsche ist in Begleitung von Lisa, seiner jungen Frau - eine späte Hochzeitsreise. Die wird aber zerrissen durch die Begegnung mit »der Passagierin« Marta: eine rätselhafte Frau, in der Lisa eine KZ-Insassin zu erkennen glaubt. Und jetzt entblättert sich für Walter die Vergangenheit seiner Frau als einstige KZ-Aufseherin.


Der neue Merker, Udo Pacolt, 18.5.2013

Die wunderbare Partitur von Weinberg, die neben greller Musik auch karikierende Momente aufweist, in denen der Einfluss von Schostakowitsch hörbar wird, wurde von der Badischen Staatskapelle unter der Leitung von Christoph Gedschold exzellent wiedergegeben, wobei die Bläser einen großen Anteil hatten. Im informativ gestalteten Programmheft schrieb der Dirigent unter dem Titel „Ein Meisterwerk“ einen wissenschaftlichen Beitrag zu Weinbergs Musik, der einen guten Einblick auf das Werk gibt. Daraus zwei Zitate: „Die Musik wirkt auf den ersten Eindruck spröde. Je länger man sich allerdings mit dem Werk beschäftigt, findet man eine faszinierende, genau gearbeitete Leitmotivtechnik, die diese Oper durchzieht. … Die Musik lebt von dieser versteckten Leitmotivik und -Harmonik, die der Hörer beim ersten Mal leider nicht erkennt und erkennen kann, sie ist jedoch unterschwellig durchaus fühlbar und setzt sich im Körper fest.“

Am Schluss der Vorstellung brauste nach kurzem Innehalten ein Jubel durchs Haus, den man nicht alle Tage erlebt. Minutenlanger Applaus und endlos viele Bravorufe des Publikums mündeten schließlich in Standing Ovations des gesamten Hauses für die polnische Autorin Zofia Posmysz, als sie auf die Bühne gebeten und mit Blumen beschenkt wurde. Man kann von einem denkwürdigen Opernabend sprechen. Der Intendanz des Badischen Staatstheaters ist auf jeden Fall zu der Reihe „Politische Oper“ im Rahmen ihrer Spielplanlinie zu gratulieren!


Opera, Laurent Barthel, 1.9.2013

Grâce à Christoph Gedschold et à son orchestre très précis, la synchronisation est parfaite entre ce que l’on voit sur scène et le moindre événement d’une partition incroyablement riche, faite de petites touches qui, toutes, ont un impact psychologique spécifique.

Dans sa mise en scène, Holger Müller-Brandes a su prendre intelligemment le contre-pied du travail prudemment réaliste de Davis Pountney à Bregenz, qui montrait assez explicitement le quotidien d’Auschwitz. Ici, aucune évocation littérale, mais de simples parois noires réfléchissantes et des cloisons vitrées coulissantes, avec une projection constamment mouvante en guise de ciel au fond… Abstraction et bribes de réalisme s’imbriquent à la perfection, l’absence de surcharge laissant tout loisir à chaque geste d’émouvoir, parfois jusqu’au difficilement soutenable.

Impossible aussi de résister à la Marta da Barbara Dobrzanska, soprano polonaise an troupe à Karlsruhe depuis de nombreuses années, ce dont sa voix splendide se ressent un peu. Aux prises avec un rôle beaucoup plus ingrat, Christina Niessen, tempérament dramatique á haut potentiel, incarne à merveille Lisa, avec ce rien de froideur dont elle parvient à faire un atout supplémentaire.


Termine

Zur Zeit liegen keine Termine vor.