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Frankfurter Rundschau, Judith von Sternburg , 29.11.2012

Dantons Tod, Georg Büchners Stück, das vor bald 180 Jahren lähmend präzise alles über Revolutionen sagte, was je darüber zu sagen war und ist, kann man sich in Karlsruhe jetzt in einer sehr gescheiten 105-Minuten-Taschenformatausgabe anschauen. Alain Rappaports Bühne ist eine Holzrampe mit hoher Rückwand, zunächst von einer Riesen-Trikolore bedeckt und im Handlungsverlauf funktional. Sie lässt sich drehen, so dass die Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses den in Rednerschwung befindlichen Gegner Danton aus dem Blickfeld schieben können. An ihrer Rückwand befindet sich ein Gerüst, in dem die Verhafteten festhängen. Das Schlussbild demonstriert, warum man nicht zu Unrecht die ganze Zeit über auch an ein Fallbeil denken muss.

Danton wird sich in die gewaltige Fahne verwickeln, bis er fällt. Als er kurz das Weite sucht, kann er sie in eine große Tasche stopfen und mitnehmen. Denn das ist viel Stoff, aber er wird hier nur selten versimpelt - das Volk plappert als Socken-Handpuppen-Schar, während der Zuschauer vor Scham im Boden versinkt -, vielmehr auf wenige, teils wirkungsvolle Bilder zurechtgeschnitten. Ein Spezialabreißkalender zählt die Tage herunter, die Danton bleiben.

Der Rest ist Reden. Simone Blattners Inszenierung für das Staatstheater Karlsruhe verhält sich nicht gleichgültig, aber kühl gegen die Protagonisten (von Claudia González Espíndola in gedeckte Anzüge gesteckt). Frank Wiegard ist kein Haudegen-Danton, aber er verbindet die Büchnersche Klugheit, die der Autor ihm ohne Unterlass in den Mund legt, so glaubwürdig mit einem unverschnörkelten Auftreten, dass man ihm gerade deshalb den Mann fürs Grobe abnimmt. Robespierre, Timo Tank, ein grauer Funktionär, schäumt kalkuliert auf. Blattner geht plausibel davon aus, dass zwischen diesen Gegnern keine Welten liegen.

Es menschelt nicht unter den meist von der Seite mithörenden Revolutionären - von den Frauen ist nur Lucile übrig, die elfenhafte, unglückliche Joanna Kitzl als eine Art Kollateralschaden -, es leidenschaftet bloß punktuell. Aber der Übergang vom Reden zur Todesangst lässt sich doch an den geschäftigeren Gesichtern und Körpern ablesen. Der Mensch in Bedrängnis, er wird sich allemal wehren. Wenn es laut wird, bewährt sich, dass es vorher leise war. Wenn Choräle gesungen werden oder Gefahr sich stampfend ankündigt, lauern der beliebige Theatereffekt und sein gefährlicher Begleiter, die Routine. Aber sorgfältig gearbeitet ist auch das.


Die Rheinpfalz, Jürgen Berger, 29.11.2012

Man durfte also gespannt sein, was aus dem Stück wird, wenn eine zum szenischen Minimalismus neigende Regisseurin wie Simone Blattner genau diese Privatsphäre fast vollständig streicht. Ein Ergebnis ist, dass Frank Wiegard ein ganz auf den politischen Kampf konzentrierter Melancholiker sein darf, der müde lächelnd und untergründig bebend Alain Rappaports monumentale Bühne auf der Bühne entert: ein Teakholzband, das hinten in die Höhe strebt und auf der Rückseite Gittergefängnis ist – die Conciergerie und Todeszelle der Dantonisten.
Zu Beginn ist dieses Band mit einer großen Tricolore bedeckt, in die Wiegard sich wie ein Korkenzieher dreht, bis die französische Flagge nur noch ein Häufchen Elend ist. Später lässt er sich auf der Teak-Drehbühne zum großen Rededuell mit Robespierre (Timo Tank) nieder. Man ist eigentlich im Zentrum des politischen Machtkampfs, meint aber nur Zeuge eines aktionistischen Arrangements zu sein. Tatsächlich spannend wird es, wenn Jan Andreesens in der großen Rede des St. Just dessen pointierten Revolutions-Nihilismus als semantischen Terror vorführt. Alles in allem fehlt diesem ersten Teil aber etwas, das es später dann gibt, wenn die Dantonisten in den Gitterzellen an der Rückwand der Teakholzbühne hängen und auf den Tod warten.
Lucille, die Geliebte von Dantons jungem Parteigänger Camille, hat Simone Blattner dann doch nicht gestrichen. Also kann Joanna Kitzl immer mal wieder wie ein etwas verwirrtes Wesen auftauchen und private Trauer in die Inszenierung tragen. Wie bedeutend es ist, dass es bei Büchner doch noch etwas anderes als nur Revolutionsrhetorik gibt, wird am Ende ganz deutlich. Da steht Joanna Kitzl einsam ganz hinten und schreit Lucilles selbstmörderisches „Es lebe der König“ in den Raum. Es ist einer der Momente, von denen das Theater lebt.


Badische Neueste Nachrichten, Andreas Jüttner, 24.11.2012

Man kann auch ohne Spektakel überzeugen: (...) Voll besetzt war der Saal, überzeugend war die Strichfassung des 175 Jahre alten, mit Anspielungen, Querverweisen und Zitaten überbordenden Stücks über die Endphase der Französischen Revolution, klar profiliert waren die Darsteller, anhaltend und herzlich war der Applaus. Regisseurin Simone Blattner ist es gelungen, das komplexe Erstlingswerk von Büchner so zu inszenieren, dass jeder gesprochene Satz verständlich und die große Linie des politischen Zwists deutlich wird: Hier die gemäßigte Fraktion um den einstigen Revolutionshelden Danton, der des Tötens so müde ist wie des Lebens, dort die radikale Fraktion um den Revolutionsführer Robespierre, die schon aus Selbstschutz „das Guillotinenthermometer nicht fallen“ lassen will: Mit den Hinrichtungsorgien wird das Volk davon abgelenkt, dass es auch im sechsten Revolutionsjahr noch Not leidet. „Ihr wollt Brot, und sie werfen euch Köpfe hin“, sagt Danton, nachdem er bei Nacht und Nebel verhaftet worden ist.
Büchners Drama, das zu etwa einem Sechstel aus historisch überlieferten Reden montiert ist, transportiert diesen Konflikt in einer packenden Sprache mit Sentenzen, die auch heute aufhorchen lassen. So rechtfertigt Robespierres rechte Hand St. Just das massenhafte Guillotinieren mit dem Argument, jeder Schritt der Menschheit fordere Opfer. Das gipfelt in einem Satz, der sich (wenn auch nicht ganz so blutig) widerstandslos auf die krisenhaften Umwälzungen der Globalisierung deuten lässt: „Ist es denn nicht einfach, dass zu einer Zeit, wo der Gang der Geschichte rascher ist, auch mehr Menschen außer Atem kommen?“
Die knapp 110-minutige Aufführung lässt die Wucht dieser Wortgefechte um Leben und Tod, zur Geltung kommen, indem sie sich wohltuend auf die Präsenz der Schauspieler konzentriert. Jan Andreesen etwa gibt den St. Just als sportiv tänzelnden Aufpeitscher, Timo Tanks Robespierre verbirgt unter beschwörendem Predigtton im pastorenhaften Tugend-Look (Kostüme: Claudia González Espindola) seinen bedingungslosen Machtanspruch, der sich nur in kurzen Eruptionen verrät, und Thomas Halle steuert als Camille Desmoulins die Facette des poetischen Visionärs bei. Ihm hat die Strichfassung, die sämtliche Anspielungen auf das Bordell-Lotterleben von Danton & Co getilgt hat, als einzigem die Frau gelassen: Joanna Kitzl zeigt die Lucile anfangs als rehäugiges Naivchen, das aber im Schmerz des Verlustes ergreifende Tiefe gewinnt. Frank Wiegard darf als Danton in einer historischen Einleitung Stärke zeigen und so die Figur verorten. (...) als es gegen Ende ans Sterben geht, gewinnen er und die Aufführung große Intensität, und den leisen Szenen wird so mucksmäuschenstill gelauscht, dass man aus dem Foyer den Pausengong vom Opernhaus hört. Dieser „Danton“ wäre auch Schülern als sinnlich erfahrbare Lektürehilfe zu empfehlen – wie allen, die einen der stärksten Texte der deutschen Literatur nahegebracht bekommen wollen.


Badisches Tagblatt, Thomass Weiss, 24.11.2012

Die Französische Revolution ist zu einer Blutorgie verkommen, immer mehr Opfer müssen für die Guillotine gefunden werden, damit das noch immer darbende Volk zufriedengestellt wird und nicht etwa auf die Idee käme, Robespierre und seine Anhänger selbst auf die Richtstatt zu führen. Zu diesem Zeitpunkt setzt Georg Büchners genialisches Erstlingsdrama "Dantons Tod" ein. Im fünften Jahr der Revolution kämpft Frankreich gegen die konterrevolutionären Feinde des Auslands ebenso wie mit den wachsenden inneren Spannungen: Die sozialen Gegensätze sind nicht beseitigt, das Volk hungert, die blutigen Hinrichtungen dienen der Unterhaltung einer schier unkontrollierbaren Masse, die sich gegen jeden wenden kann, dem sie zuvor gehuldigt hat.
Im Büchner-Jahr - der mit 23 Jahren gestorbene Dichter wurde 1812 geboren - hat sich nun am Schauspiel des Badischen Staatstheaters Simone Blattner, der hier schon Lessings "Minna von Barnhelm" oder Kleists "Amphitryon" anvertraut wurden, des Revolutionsdramas angenommen. Ihre auf eindreiviertel Stunden ohne Pause verknappte Strichfassung von "Dantons Tod" präsentiert im Kleinen Haus des Staatstheaters eine reine Männerwelt, der nur die Lucile der feengleichen Joanna Kitzl, die am Ende mit dem Ruf "Es lebe der König" mit ihrem geliebten Mann Camille in den Tod geht, als quasi utopisches Moment des Privaten entgegengesetzt wird.
(…)
Alain Rapport hat für Blattners Inszenierung eine zwischen Revolutionstribunal und Gefängnis leicht wandelbare Bühne geschaffen, auf der das Karlsruher Ensemble in der an der Gegenwart orientierten Kleidung von Claudia Gonzales Espindola agiert, die daran erinnern soll, dass diese Revolutionäre alle aus dem gehobenen Bürgertum stammten.
(…)
Langweile oder fehlende handwerkliche Solidität, gelegentlich auch manch gelungener Einfall und das Geschehen geschickt auflockernde Gags wie der Chor der Muppet-Handpuppen oder der Einsatz der von Büchner benutzten Volkslieder (Einrichtung Christopher Brandt) - das alles kann man der gerafften Karlsruher Inszenierung nicht vorwerfen, es fehlt aber die Größe und gelegentlich die Kraft von Büchners Drama, jener von ihm beschworene Fatalismus der Geschichte, der sich am Schicksal aller Protagonisten festmacht. Robespierre und seine Gefolgsleute werden Danton und seinen Anhängern nur wenige Monate später aufs Schafott nachfolgen.


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