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Theater heute, Andreas Jüttner, 30.5.2014

(...) Das aufwändig recherchierte Stück «Rechtsmaterial» von Jan-Christoph Gockel und Konstantin Küspert fördert Bemerkenswertes zutage zur Tradition der Denkmuster, auf denen die NSU gedeihen konnte. So wird die klammheimliche Solidaritätsadresse eines alten Generals (Ronald Funke) im Schlageter-Stück zusammengebracht mit einer Videoeinspielung, in der Helmut Roewer, einst Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Verharmlosendes über rechtsextreme Straftaten von sich gibt. Eine Textstelle, die zur Übergabe der Mordwaffe an Mundlos passt, findet sich im alten Stück ebenso – und mitten in die Diskussion der Schlageter-Truppe, ob man Deutsche unter den Opfern hinnehmen soll, wird das Todesdatum der 2007 in Heilbronn erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter genannt.

Das Bühnenbild von Julia Kurzweg betont die Schlageter-Propaganda als «Boden» für Rechtsextremismus: Um die Möbel der 20er-Jahre-Szenen herum zeichnen drei Schutzanzugsträger erst den Grundriss der konspirativen NSU-Wohnung in Zwickau – und später die Umrisse von zehn Leichen, während das Tätertrio sich auf dem Sofa jene Rindsrouladen schmecken lässt, über die Beate Zschäpe aus der Haft an einen Rechtsextremen schrieb: «Nach dem Verzehr wärst du mir hörig.» Diese Szene über den Kontrast zwischen banaler Selbstwahrnehmung und brutalen Taten ist einer der wirklich beklemmenden Momente des Abends. Ein anderer ist die auf Video dokumentierte Rede des Neonazis Manfred Roeder, mit der er 1977 eine kritische «Schlageter»-Aufführung stürmte und die etwas von der perfiden Argumentationskraft rechter Agitatoren spüren lässt. Auch von Roeder führt der Bogen direkt zum NSU-Trio, das 1998 nur zwei Tage vor dem Abtauchen in den Untergrund an einer Demo für den vor Gericht stehenden Roeder teilnahm.

Das Risiko, missverstanden zu werden, weiß der Abend weiträumig zu umfahren: Die «Schlageter»-Szenen sind gerade durch den Verzicht auf übermäßige Ironisierung nicht ernstzunehmen, und vor einer Szene mit Nazi-Gebrüll im grünen Grusellicht steht das Schlingensief-Zitat, man müsse sich auf das Böse einlassen, um es abzunutzen. Gleichwohl wagt der zweieinviertelstündige Abend eine Annäherung, die nicht sofort auf Distanz geht. Die großen Qualitäten liegen – neben den starken Darstellerleistungen – darin, Kontexte zu erstellen, die so schlüssig wirken, dass kaum fassbar ist, wie die Vorstellung von rechtem Terror bis zum Auffliegen des Trios als unfassbar gelten konnte.


Mannheimer Morgen, Dennis Baranski , 1.4.2014

(...) Unbestritten ist hier ein gewinnbringender Theaterabend von Relevanz entstanden, der weit ausholt, um das vermeintlich einmalige Phänomen Rechtsextremismus als Kontinuität der deutschen Geschichte herauszuarbeiten – und das mit Erfolg. Dicht und genau graben sich Gockel und Küspert auf der Suche nach dem Ursprung des Hasses durch vergessene Verbrechen, Anschläge oder Ausschreitungen und finden eindringliche Bilder.

(...) Solche kraftvollen Momente können aber ebenso wenig wie ein starkes Ensemble verschleiern, dass das ehrgeizige Unterfangen unter der überbordenden Stoffmenge zusammenzubrechen droht. Trotz aller Bemühungen, diese riesige Materialsammlung übersichtlich zu sortieren, leidet die Dramaturgie massiv und das Spiel kommt über weite Strecken hoffnungslos überladen daher. Kalt wird der Abend in Karlsruhe dennoch niemanden lassen; und auch wenn man das Unfassbare so nicht verstehen lernt, man kommt ihm doch ein großes Stück näher.


Süddeutsche Zeitung, Adrienne Braun, 1.4.2014

(...) Im Verlauf des Abends verwandeln sich Schlageter und seine Genossen immer wieder in Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, sitzen einträchtig auf demalten Sofa und essen Sauerbraten – „mit brauner Soße“.

(...) „Rechtsmaterial“ ist ein typischer Fall von Überrecherche, sodass Gockel und Küspert sogar fertig geprobte Szenen kurz vor der Premiere wieder streichen mussten. Trotz der verbleibenden Materialfülle gelingt es, die dokumentarischen, historischen und literarischen Fragmente, Texte und Videos als überzeugende Collage aufzubereiten.

(...) 13 Jahre wirkte die Zwickauer Zelle unbemerkt im Untergrund und finanzierte sich mit Banküberfällen. Zwar wird auch das am Rande erwähnt, aber hier geht es nicht primär um die Aufarbeitung des aktuellen Falls, die Karlsruher wollen durch den Rückgriff auf Schlageter den rechtsradikalen Terror als Kontinuum darstellen. Das ist keine neue Erkenntnis und spricht auch nicht die Gesellschaft, auf deren Boden solche Exzesse möglich sind, von Verantwortung frei. Bemerkenswert ist der Abend dennoch wegen der Querbezüge und historischen Details.


dpa, 30.3.2014

(...) Brillant die detaillierte Beschreibung, wie die schweigende Zschäpe im Gerichtssaal mit dem Mikrofon spielt.


Frankfurter Allgemeine Zeitung, Dieter Bartetzko, 1.4.2014

(...) Was treibt diese Menschen? Aber genau davor, also vor der eigenen Courage, schreckt die Inszenierung immer wieder zurück.

(...) Ein Jammer, dass ... die schauspielerischen Leistungen ins Leere laufen. Denn das siebenköpfige Ensemble ist ausgezeichnet. Immerhin changiert Matthias Lamp als Schlageter/Mundlos bravourös zwischen Zweifler und Fanatiker und lässt zuweilen sogar die Exaltiertheiten des Expressionismus aufblitzen. Thomas Halle hält die Engstirnigkeit des Thiemann/Böhnhardt frei von pädagogischer Denunziation. Und Sophia Löffler mit wassergewellter Blondperücke gibt als Alexandra nicht nur die Verkörperung der Naziträume von der „anständigen Kameradin“, sondern auch eine kluge Parodie der Schauspielerin Emmy Sonnemann, die zwei Jahre vor ihrer Heirat mit Göring in „Schlageter“ glänzte. Doch kaum entfaltet sich das Ensemble, donnert wieder ein Rammstein-Song oder zerhackt ein Video aufkeimende Atmosphäre.

(...) Noch ein Punkt, weshalb das „NSU-Projekt“ scheitert. Doch übergehen sollte man es nicht. Denn ihm kommt, ..., das Verdienst zu, gegen das große Vergessen der Internet-Ära zu streiten, der die zehn NSU-Morde schon ein graues Gestern sind.


Frankfurter Rundschau, Judith von Sternburg, 1.4.2014

(...) In Karlsruhe erweitern Jan-Christoph Gockel und der Dramaturg Konstantin Küspert das Blickfeld dagegen ins Historische. Die unzweifelhaft richtige, schockierend richtige Grundvoraussetzung, dass rechtsextremer Terror sich nicht nur horizontal durch die Gegenwart, sondern auch vertikal durch die deutsche Geschichte zieht, belegen sie mit einem Fundstück.

(...) Der Titel „Rechtsmaterial“ wird durch Fundstücke und Rechercheergebnisse eindrucksvoll ausgefüllt.

(...) Der Abend hat drei Tücken. Die erste wurde aber durch den Umgang der Ermittler, der Medien, der Öffentlichkeit mit den „Dönermorden“ restlos widerlegt. Man könnte sich nämlich theoretisch fragen, ob ein derartiger Aufwand nötig ist, um das Offensichtliche, die Kontinuität rechtsextremen Terrors in Deutschland, nachzuweisen. Aber nun ja, das ist offensichtlich sogar dringend notwendig. ... Zweitens ist das Johst-Stück dermaßen dürftig, dass es auf Dauer unheimlich fade ist, sich so viel Text daraus anhören zu müssen. So konsequent das auch ausgedacht ist. Drittens ist die Materialfülle so groß, dass der Zuschauer droht, darin unterzugehen. Das muss er verkraften. Das allgemeine Neonazitohuwabohu und auch die kinderfernsehhaften Erklärungen & Sortierungen, die sich zwischendurch auftun, muss hingegen der Theaterabend verkraften. Bisweilen ächzt er daran.


Badisches Tagblatt, Jochen Neumeyer, 31.3.2014

(...) Es ist ein Spiel mit dem Gruseln, aber es funktioniert.


Badische Neueste Nachrichten, Andreas Jüttner, 31.3.2014

(...) Gegen das Vergessen nicht nur dieser Taten steht diese Aufführung mit ihren bemerkenswert verbundenen Dokumenten: Der Bogen führt vom „Schlageter“- Drama direkt zu dem Neonazi Manfred Roeder, der 1977 eine kritische Schultheater- Aufführung des Stücks stürmte – und von Roeder wiederum zum NSUTrio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, das noch zwei Tage vor seinem Untertauchen 1998 an einer Demo für Roeder teilnahm.

(...) Ohnehin liegt es nicht zuletzt an dem stark aufspielenden Ensemble, dass man in all den Querverweisen und Assoziationen nicht den Faden verliert. Matthias Lamp und Thomas Halle etwa zeigen in den „Schlageter“-Studentenszenen keine Scheu vor den flapsigen Pointen, mit denen dieser Text um Sympathien buhlt, und verströmen später als Mörderduo achselzuckende Kälte. Neben den Genannten setzen außerdem Simon Bauer und Thiemo Schwarz Akzente an diesem Abend, der eindrucksvoll zeigt, wie anregend und vielschichtig sich Theater eines Themas annehmen kann, wenn es seine Formenvielfalt klug einsetzt.


deutschlandradiokultur.de, Elske Brault, 26.3.2014

"Drei Psychopathen lässt Regisseur Christoph Mehler am Schauspiel Frankfurt in Lothar Kittsteins NSU-Stück "Der weiße Wolf" aufeinander los. Das Dokumentarprojekt "Rechtsmaterial" in Karlsruhe beleuchtet die drei Charaktere Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, wohingegen "Urteile" von Christine Umpfenbach in München den Opfern eine Stimme gibt." (...)

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SWR 2 Kultur Regional, Marie-Dominique Wetzel , 26.3.2014

Kaum ein zeitgenössisches Thema hat die Theater im Land in letzter Zeit so beschäftigt wie die rechtsradikale Terrorzelle NSU. Die ihr zur Last gelegten Morde und der laufende Strafprozess haben Dramatiker zu einer ganzen Reihe von neuen Theaterstücken angeregt. Nach Berlin, Frankfurt und Braunschweig steht nun eine Uraufführung am Badischen Staatstheater Karlsruhe an. (...)

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kulturspiegel.de, Tobias Becker, 27.1.2014

(...) Journalistische Berichte, die im Privaten wühlen, driften schnell in eine NSU-Homestory ab", sagt der Regisseur Jan-Christoph Gockel. Das Theater hingegen könne die Prozesse in den Tätern zeigen. Und es könne noch mehr: verschiedene historische Zeiten nebeneinanderstellen, den Blick weiten. Gockel probt zurzeit den NSU-Abend "Rechtsmaterial" am Badischen Staatstheater Karlsruhe. Seine Leitfrage: Was treibt Menschen in den Rechtsextremismus und vom Rechtsextremismus weiter zum rassistischen Mord?

Etwa die Hälfte des Abends soll aus dem Stück "Schlageter" bestehen, einem anti-französischen Hetztext, geschrieben vom Nazi-Schriftsteller Hanns Johst und uraufgeführt zu Hitlers Geburtstag 1933. Er beruht auf der wahren Geschichte des Freikorpskämpfers Leo Schlageter. "Das ist wirklich ein ekliges Stück, das zu Recht versunken ist", sagt Gockel, "aber in der Geschichte gibt es viele interessante Parallen zum NSU." Das Stück verführe den Zuschauer, das sei eine Gefahr, "aber man kann keinen Abend zum NSU machen, wo alle danach nicken. Man muss zu härteren Theatermitteln greifen".

Das historische Hetzstück will Gockel mit seinen Recherchen kontrastieren, die ihn unter anderem in die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe geführt haben. Das Theater formuliert in der Ankündigung des Abends daher staatstragend: "in Zusammenarbeit mit der Bundesanwaltschaft". Gockel formuliert zurückhaltender: "Die Bundesanwaltschaft hat natürlich gar nichts erzählt und dadurch sehr viel.

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