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BNN, Markus Mertens, 30.6.2014

Milch oder Zitronensaft, so sagt es uns der sinnträchtig selbstbenannte Bênav (was so viel heißt wie „ohne Namen“), helfen gut gegen Tränengas. Und Bênav (Mehmet Yilmaz) aus Diyarbakir, der inoffiziellen Hauptstadt Kurdistans, muss es wissen. Denn Bênav hat nicht nur ein DAAD-Künstler-Stipendium, um nach Berlin zu kommen, sondern auch eine Menge Erfahrung im demonstrieren. Er ist Lehrer und klug, aber er ist auch Aktivist und tollkühn. Doch was noch viel schlimmer ist: Er ist Kurde und erlaubt sich, mit Video-Kunst auf das Leid der Kurden aufmerksam zu machen. Damit macht er sich in der Türkei nicht viele Freunde. Klar weiß er, was auf dem Gezi-Park abgeht und dass das schlimm ist. Doch er weiß auch: „Wenn ihr auf die Straßen geht, dann kommen die Medienleute aus der ganzen Welt zusammen, weil es euch an den Kragen geht. Als es uns an den Kragen ging, da waren ein paar Lokaljournalisten vom örtlichen Käseblatt auf der Straße und berichteten, doch am nächsten Tag waren auch die weg.“ Die Empathie fehlt – im eigenen Volk, aber auch auf der ganzen Welt. Die weiße Projektionsfläche (Bühne: Moïra Gilliéron) wirkt wie die spöttelnde Häme der „Ist doch alles gut“-Proklamierer. In Wahrheit steht der Realitätsmatsch bis zum Hals. Und Bênav, wird zur Differenzierungsfläche, wo die Weltöffentlichkeit längst denkt: „Hey, die Türken, die sind doch vor allem geschlossen gegen den Erdogan.“
Ein Künstler im Staatsdienst, zerrissen zwischen politischen Pflichten und privater Moral. (…) In Göttingen und Marburg hätte er ausstellen können, doch sein Künstlerkollektiv hat ihn ausladen lassen – zu provokant. Es passiert nicht viel – muss es auch nicht. Diese 75 Minuten Theater sind das fragile Spiel eines Mannes, der zwischen dem komödiantischen Charme des naiven Onkel Namo von Nebenan und dem tödlichen Ernst kurdischer Vertreibungen hin- und heroszilliert und sein Publikum damit wie im Schraubstock einklemmt.
Psychologisch tief, aber auch von seelischen Schrunden übersät zeichnet Mehmet Yilmaz seinen Bênav und vereint das leidende Herz der kurdischen Familie mit dem körperlichen Drang nach Freiheit in Istanbul kongenial. Werden sie zusammenfinden? Die Kamera richtet sich auf uns: nicht solange wir trivialisieren, was dort geschieht. Das ist vielleicht das Wichtigste, was uns dieses Kammerspiel lehrt. Und so schauen wir ihm nach, diesem Mann ohne Namen, der aufstand, um uns anzuspringen. Er hakt sich fest in unsere Gedanken und fordert seinen Tribut. Fünf Minuten Applaus.


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