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Tanz, Hartmut Regitz, 28.5.2015

Davide Bombana ... versucht erst gar nicht etwas zu erzählen, sondern belässt dem Ballett seinen Assoziationsreichtum und seine Gegenwärtigkeit. Stark sind deshalb nicht nur die Gruppenszenen, die sich in vielfacher Weise interpretieren lassen. Stark ist vor allem auch eine Parabel wie «Vor dem Gesetz», choreografiert zu einem Satz aus der «Symphony No. 7 – Angel of Light», einem der spirituellsten Stücke von Einojuhani Rautavaara: Immer wieder wird hier dem Landsmann (Brice Asnar) der Eintritt verwehrt, obwohl rosalie ganz konsequent offen lässt, ob er das Tor lediglich imaginiert oder ob es schattenhaft existiert.

Vieldeutig bleibt alles in diesem Ballett, vielschichtig wie die Musikcollage, die Kompositionen von Walter Fähndrich, Einojuhani Rautavaara, Olivier Messiaen und Peteris Vasks so raffiniert ineinanderschiebt, als wären sie Teil eines großen Ganzen, das selbst Kernsätze Kafkas noch bruchlos integriert. Eindeutig ist nicht nur der Anfang. Eindeutig ist vor allem ein Ende, das sich nachhaltig der Erinnerung einprägt: Josef K. wird nicht, wie es im Buch heißt, ein beidseitig geschärftes Fleischermesser ins Herz gestoßen, während sich die Hände des anderen «Herrn» um seine Gurgel schließen. Flavio Salamanka wird vielmehr auf einen Stuhl gesetzt, die Füße gebunden und kopfunter in die Höhe gezogen. Wie von Stromstößen erschüttert, bäumt sich ein letztes Mal sein Körper auf, bevor er endgültig stirbt: ein durchaus zeitgemäßer Schluss, wie man ihn nicht unbedingt vom Badischen Staatsballett erwartet hätte. Schon gar nicht von einem Danseur noble wie Flavio Salamanka, der an diesem Abend über sich hinauswächst und sich als überragender Charaktertänzer erweist, von dem man sich in Karlsruhe noch Großes erhofft ...


Die Deutsche Bühne, Bettina Weber, 26.4.2015

Davide Bombanas Ballett „Der Prozess“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe nach Franz Kafkas Romanfragment ist ein bestechend eindrückliches Kunstwerk geworden, das die inneren Konflikte des Protagonisten greifbar macht und seine Isolation von der Umwelt unterstreicht.
Gemeinsam mit rosalie, die für Kostüme und den „Medien-Licht-Raum“ (so heißt es treffenderweise im Programmheft) verantwortlich zeichnet, hat Bombana ein futuristisches Zukunftsszenario entworfen. Auf mehreren, die Bühne umgebenden und diese zeitweise durchbrechenden schmalen Wänden entsteht über matrixartige Video-Mosaikflächen eine digitale Struktur, eine verpixelte Welt. Auch die Gaze an der Bühnenfront wird in der ersten Szene, wenn Josef K. vor der Verhaftung allein und ängtlich auf dem Boden liegt, digital überstrahlt, um deutlich zu machen, dass dieser Josef K. in Zeiten der digitalen Überwachung lebt. Ihn treibt die Angst, seiner Umgebung kann er nicht trauen ...
Kt. Flavio Salamanka schenkt dem Protagonisten mit seiner präzisen Ausführung und seiner darstellerischen Kraft eine ganz besondere emotionale Tiefe. Wie wundersame Auszeiten stehen zwischen den Szenen der Bedrohung die Begegnungen Joseph K.s mit den Frauen, mit Fräulein Bürstner (Bruna Andrade), der Frau des Gerichtsdieners (Rafaelle Queiroz) und Leni (Blythe Newman): Sinnliche, anmutige Duette voller Anziehung. Sie bieten ihm kleine Refugien, Schutzräume. Dagegen sind die Begegnungen mit den männlichen Charakteren von der Unterwürfigkeit Josef K.s geprägt ...
Davide Bombana hat eine dramaturgisch durchdachte Szenenabfolge choreographiert, vermeidet es aber, allzu konkret nachzuerzählen. Das entspricht der fragmentarischen Vorlage und erweist sich als großer Gewinn: Vielmehr zeigen Bombana, rosalie und das Karlsruher Ballettensemble die große Furcht von Josef K., seine Verlorenheit in einer Welt, die nur noch aus Technik besteht. Zuletzt, wenn der fortgeschrittene Prozess ihn sein Leben kostet, wird er an Seilen kopfüber in die Luft gezogen. Es ist eine pessimistische, aber vielleicht die zeitgemäßeste und anschaulichste „Prozess“-Adaption, die man sich vorstellen kann. 

Lesen Sie die ganze Kritik hier.


Stuttgarter Zeitung, Kathrin Horster, 27.4.2015

Bombana findet ... einen eigenständigen Zugriff auf die Geschichte und versucht nicht, die Handlung minutiös im Tanz nachzuvollziehen. Stattdessen interpretiert er in einzelnen Szenen das Verhältnis der Josef K. einerseits zu den im Roman wichtigen Frauengestalten Fräulein Bürstner, Leni und Frau des Gerichtsdieners, andererseits zu der ihn umgebenden unpersönlichen Masse. Wie im Roman begegnet Josef K. unmittelbar nach seiner Verhaftung Frälein Bürstner. Im erotisch aufgeladenen Pas de deux umkreisen sich Flavio Salamanka als Josef K. und Bruna Andrade als Fräulein Bürstnr sensibel und zurückhaltend. Doch K., der zunächst das sexuell aufreizende Rollen und Spreizen seiner Nachbarin nur beobachtet, kommt dem Fräulein immer näher. In einer sinnlichen Bewegungssequenz umfährt er mit den Händen ihr Gesicht und ihren Körper, um ihn sich plötzlich sehr besitzergreifend über den eigenen Rücken zu legen.

Im krassen Gegensatz dazu choreografiert Bombana im darauffolgenden Bild K’s  Arbeitswelt in der Bank als lautes synchronisiertes Bewegungsgewitter. Einzelne Tänzer verschmelzen unterm treibenden Rhythmus zu einem riesigen, virtuos operierendem Körpersystem. Die Bank, in der Kafkas Protagonist als Prokurist arbeitet, ... wirkt wie das Innere eines Computers. In ihrem Bühnenbild scheint die Künstlerin rosalie filmische Inszenierungen zukünftiger Hightech-Welten zu zitieren, wie zum Beispiel die Geschwister Wachowski in ihrer „Matrix“ – Trilogie entwarfen ...

In dieser Welt werden Josef K.’s Entscheidungen von undurchschaubaren Algorithmen bewertet, ohne dass er von den Vorgängen im Inneren der Maschine etwas wissen und sie auch nicht beeinflussen könnte ...

Josef K., soviel steht fest, kann sich seinem Schicksal nicht entziehen. Doch sein Beispiel, wie es Davide Bombana eindrücklich inszeniert, ist bis heute eine Warnung.

 


BNN, Susanne Schiller, 27.4.2015

Die ausgeklügelte Licht- und Raumgestaltung der Künstlerin rosalie verleiht dem Stück jene Kälte des Machtgefüges und der menschlichen Anonymität, die tatsächlich berührt. Das Handwerkszeug des Bankangestellten, riesige Aktenordner-Rücken, rahmen die Bühne, heben und senken sich und liefern die Projektionsfläche für visuelle Datenströme und digitale Speicherflächen. Sie schaffen das bedrückende Umfeld einer entpersonalisierten Arbeitswelt, in der die Menschen in Einteilern und Masken (Kostüme ebenfalls von rosalie) jegliche Individualität verloren haben. Das  Stück setzt auf die Präsenz des Hauptdarstellers. Kammertänzer Flavio Salamanka leistet dabei ein gewaltiges Pensum, ist er doch fast pausenlos auf der Bühne in Aktion. Er, der vor allem durch seine perfekte klassische tänzerische Kompetenz beeindruckt, profitiert von den technisch äußerst anspruchsvollen Sequenzen. Er gibt alles, um auch die verzweifelte, gequälte Existenz herauszuarbeiten. Körperliche Nähe und emotionaler Abstand bestimmen die drei Pas de deux mit den Frauenfiguren,  interpretiert von Bruna Andrade, Rafaelle Queiroz und Blythe Newman. Sie bestätigen einmal mehr das hohe Niveau der Solistinnen und ihres Partners. Als männliche Protagonisten wie Richter, Advokat und Wächter setzen Admill Kuyler, Bledi Bejleri, Arman Aslizadyan und Zhi Le Xu ihre gesamte körperliche Kraft, um die Gewalt des Apparates sichtbar zu machen ...
Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert.


Stuttgarter Nachrichten, Hartmut Regitz, 29.4.2015

(Davide Bombana) versucht gar nicht etwas zu erzählen, sondern belässt dem Ballett seinen Assoziationsreichtum und seine Gegenwärtigkeit. Stark sind deshalb nicht nur die Gruppenszenen, die sich in vielfacher Weise interpretieren lassen. Stark ist vor allem auch eine Parabel wie „Vor dem Tor des Gestzes“: Immer wieder wird hier dem Landsmann (Brice Asnar) ein Eintritt verwehrt, obwohl rosalie ganz konsequent offenlässt, ob er das Tor lediglich imaginiert oder ob es schattenahft existiert.

Vieldeutig bleibt alles in diesem Ballett, vielschichtig wie die Musikcollage, die Kompositionen von Walter Fähndrich, Einojuhani Rautavaara, Olivier Messiaen und Peteris Vasks so raffniniert ineinander schiebt, als wären sie Teil eines großen Ganzen, das selbst Kernsätze Kakas noch bruchlos integriert.

Eindeutig ist (...) vor allem das Ende, das sich nachhaltig der Erinnerung einprägt: (...) Flavio Salamanka wird auf einen Stuhl gesetzt, ihm werden die Füße gefesselt, dann wird er kopfunter in die Höhe gezogen. Wie von Stromstößen erschüttert, bäumt sich ein letztes Mal sein Körper auf, bevor er stirbt: ein durchaus zeitgemäßer Schluss, wie man ihn nicht unbedngt vom Badischen Staatsballett erwartet hätte. Schon gar nicht von einem Elegant wie Flavio Salamanka, der an diesem Abend über sich hinauswächst und sich als ein überragender Charaktertänzer erweist, von dem man sich in Karlsruhe noch Großes erwarten darf.

 


Szenik.eu, 5.11.2015

Während die Politik über Vorratsdatenspeicherung diskutiert, bringt Bombana die Angst davor auf die Bühne. Die Angst davor über das Mobiltelefon, über das Internet, durch Überwachungskameras ständig kontrolliert zu werden. Die technisierte Welt spiegelt das Bühnenbild wider: Mal erscheinen im Hintergrund Schaltkreise, mal senkrechte Linien, mit denen man Datenströme oder Kabel assoziieren kann. Im krassen Gegensatz zu dieser klaren, metrischen Welt stehen die unruhige Musik von Walter Fähndrich und die atmosphärischen, düsteren Töne von Einojuhani Rautavaara und Pēteris Vasks. Das Ergebnis ist eine beklemmende Atmosphäre, die sich mehr an die Gefühlswelt als an den Verstand der Zuschauer richtet. Der Mailänder Choreograf vermeidet es so, Kafkas Roman eine eindeutige Interpretation aufzudrücken, was ihm auch nicht gerecht werden würde.


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