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HR 2 Kultur, 28.3.2015

Hier ein Bericht über Ich bereue nichts zur Woche junger Schauspieler in Bensheim.


Günther-Rühle-Preis für Thomas Halle - Die Jurybegründung, 28.3.2015

Die Jury hat sich entschieden, den Günther-Rühle-Preises 2015 dem Schauspieler Thomas Halle für seine Leistung in der Inszenierung „Ich bereue nichts“ zuzuerkennen.

Wir würdigen damit ausdrücklich die Gesamtleistung Thomas Halles als Darsteller und als Ko-Autor des Theaterabends. Dass ein Schauspieler sich so substantiell in die Entstehung einer Aufführung einbringt, wie es hier geschehen ist, ist ein Aspekt, den wir für bemerkenswert und – für bestimmte Themen und Kontexte – für zukunftsweisend halten. Die Dringlichkeit und Unbedingtheit, mit der sich Thomas Halle dem Phänomen Edward Snowden und der durch ihn ausgelösten Überwachungs-Debatte schauspielerisch stellt, erwächst spürbar aus seinem Engagement für dieses Thema. Er bringt sich und seine Person buchstäblich selbst ins Spiel und wird so im besten Sinne Identifikations- und Spiegelungsfigur für uns, die wir dem Thema der totalen Überwachung bislang wohl mehr oder weniger indifferent (bis ignorant) gegenüberstanden.
Zur besonderen Qualität dieser darstellerischen Leistung gehört auch, dass es Thomas Halle und dem Regie-Team gelungen ist, das doch eher abstrakte Thema mit genuin theatralen Mitteln auf die Bühne zu bringen und so einen bildstarken und sinnlichen Theaterabend zu schaffen. Thomas Halle nähert sich der Schlüsselfigur Edward Snowden, indem er die verschiedenen Aspekte der Person und seiner Wirkung theatral versinnbildlicht. Zugleich entgeht er damit der Gefahr einer unangemessenen Psychologisierung und Einfühlung. Er macht Bild- und Deutungsangebote – Snowden als patriotischer Cowboy, als entfremdeter IT-Affe, als Don Quixote, als Abgetauchter mit Bleischuhen – um sie im nächsten Moment wieder zurückzunehmen. Souverän switcht er zwischen verschiedenen Darstellungs-Modi, ohne sich hinter Virtuosentum zu verstecken. Immer bleibt die eigene Nachdenklichkeit Thomas Halles spürbar – gerade auch in den absurdesten Kostümierungen. Sein Spiel wirft damit auf Fragen auf, die über den Theaterabend hinausweisen: wie kann das Theater von solchen Themen erzählen? Ist der analoge Theaterraum, der analoge Schauspieler nicht ein einziger Anachronismus? Oder ist es gerade die Stärke des Theaters, so naive Bilder wie das Anlegen der Rüstung zu erfinden, um uns die Funktionsweise von peer-to-peer- Verschlüsselung und das Internet-Dilemma, zugleich geschützt und nackt sein zu wollen, sinnlich verstehbar zu machen?
Dabei bleibt Thomas Halle stets in engem Kontakt zum Publikum, macht es theatral hochwirksam zum Mitspieler. Er schafft eine höchst affizierende Mischung aus Leichtigkeit (bisweilen auch Albernheit) und ernsthafter Nachdenklichkeit, verausgabt sich körperlich und bleibt doch immer konzentriert. Die Tatsache, dass er eigenständig aktuelle Themen in die Aufführung integriert und so das Stück permanent weiterentwickelt, rundet dabei das Bild ab. Thomas Halle überzeugt als Schauspieler also in doppelter Hinsicht: als virtuoser Spieler und als jemand, der zum Denken anregt.

Hier gehts zu den News.


Die Deutsche Bühne online, 12.10.2014

Bisher haben die Bühnen der Republik um Edward Snowden und den NSA-Skandal größtenteils einen Bogen gemacht. Wie kann man die offenbar sogar progressive totale Überwachung auch zu Theater machen? Was sind die Bilder, ist das Bild für diesen bedrohlichen, so abstrakt wirkenden Themenkomplex? Gibt es das überhaupt? Diese Fragestellung wird gleich zu Beginn als Leitmotiv eines bemerkenswert stimmigen Abends etabliert, in dem es vor allem um Haltung geht. Die von Edward Snowden, die des Schauspielers Thomas Halle, vor allem aber die jedes Einzelnen, in- und außerhalb des Publikums.

„Ich bereue nichts" ist ein Rechercheprojekt, wie es eigentlich innerhalb von Stadttheaterstrukturen kaum denkbar ist. Das Staatstheater Karlsruhe hat den Regisseur Jan-Christoph Gockel, den Dramaturgen Konstantin Küspert und Thomas Halle ein halbes Jahr lang auf Reisen geschickt, durchs Internet und zu Ströbele, von Mannheim bis Berlin. So entstanden Ideen und Text, die in nicht mal zwei Wochen Proben bühnenfertig gemacht wurden. Das Ergebnis ist klug, sinnlich und unbequem, die für das Thema (nicht nur wut-)entflammten Herzen der Macher wirken als Verstärker
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Vor die schwarze Wand des Studios hat Julia Kurzweg vier mit Neonleuchten bestückte Rahmen gestellt, Abstraktionen der barocken Kulissenbühne, die theatralische Form behaupten, was durch die Performance von Thomas Halle geradezu glückhaft eingelöst wird.
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Halle erzählt verwundert von seinem Gespräch mit Snowden-Gesprächspartner Ströbele, ohne dessen Glauben an die Heilkraft parlamentarischer Demokratie zu teilen. Er versucht, den Glanz und die Problematik von e-mail-Verschlüsselung zu erklären, in dem er eine Ritterrüstung anlegt, Rüstungsteile ans Publikum verteilt und dann einzelne Zuschauer umarmt: „Ich spüre nichts."

Der Schauspieler wird zum Gorilla mit Laptop – was für ein Bild des heutigen Menschen! – zu Don Quixote, zu Edward als Cowboy-Kind. Und der Schauspieler ist immer wieder auch einfach Thomas Halle, der Fotoalben ans Publikum ausgibt, die Edward Snowdens Leben genauso hintersinnig kommentieren wie die Entwicklung der Computer-Technologie. Und er ist Snowdens Freundin, die Poledancerin und Bloggerin, die nichts versteht und nichts verstehen will.

Die Bilder sind stark und nicht willkürlich. Die Leichtigkeit, mit der sie so unprätentiös serviert werden, mit den Raum durchquerenden Bühnenarbeitern und einer bei Bedarf wie selbstverständlich mitspielenden Souffleuse, erfreut und macht nachdenklich. Man muss sich doch eine Haltung zulegen, denkt man sich. Bingo!


Evangelischer Pressedienst, 13.10.2014

Theatermacher suchen ein Bild für die totale Überwachung. Ein Bild, das aufrüttelt und Emotionen der Zuschauer hervorruft. Ein Bild, das die Überwachungspraktiken der US-Geheimdienste beleuchtet und dem US-Whistleblower Edward Snwoden näher kommt, der diese Machenschaften enthüllte. «Es geht um unsere Freiheit. Das zu erzählen ist unsere Aufgabe», sagte Dramaturg Konstantin Küspert bei der Vorpremiere des Stücks «Ich bereue nichts.
Ein NSA-Projekt» am Samstagabend im Badischen Staatstheater Karlsruhe.

Eines der eindrucksvollsten Bilder des Abends: Ein völlig nackter Schauspieler kommt auf die Bühne, in den Händen hält er einen Computerbildschirm. Der eingeschaltete Monitor zeichnet schließlich sein Bewegungsprofil nach, jene Orte in Karlsruhe und Berlin, die er in den letzten Wochen aufgesucht hat. Dieses beklemmende Bild wird durch ein anderes abgelöst: Um sich und seine Daten schützen, zieht der Mann eine Ritterrüstung an. Gleichzeitig erklärt er das Internetverschlüsselungssystem PGP, das Snowden zur Kommunikation mit dem Enthüllungsjournalisten Glenn Greenwald benutzt hat.
(...)
Das Karlsruher Theater-Team nahm Kontakt zu Publizisten aus dem Umfeld des Whistleblowers auf und nähert sich diesem Helden wider Willen mit einem fiktiven Monolog, der seinen Zwiespalt zwischen Patriotismus und Gerechtigkeitssinn behandelt. Dazu recherchierten Regisseur Jan-Christoph Gockel, Schauspieler Thomas Halle und Dramaturg Konstantin Küspert sprachen auch mit dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele. Sie gingen zu Cryptoparties, bei über das Verschlüsseln von Computerdaten informiert wird. Sie besuchten in den USA das Kryptologie-Museum der NSA in Fort Meade und sprachen mit ehemaligen NSA-Mitarbeitern in Washington DC.
(...)
Gezeigt wird auch, dass selbst Snowden private Spuren im Netz hinterlassen hat: Es gibt Bilder, die ihn mit seiner Freundin zeigen.
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Eingespielt werden außerdem Originalzitate von Snowden und auch etwa von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die vom Neuland Internet sprach. Zum Schluss des Stückes wird das Publikum aufgefordert, sich der «neuen Aufklärung» zu stellen, sich aus der «selbstverschuldeten Unmündigkeit» zu befreien und das "Menschenrecht auf Freiheit zurückzuerlangen. 


DPA, 12.10.2014

Die fast totale Überwachung aller im Internet durch die NSA - wie soll man sich das eigentlich vorstellen? Ganz einfach: Im Theaterprojekt «Ich bereue nichts» am Badischen Staatstheater in Karlsruhe symbolisiert eine Keksschachtel das Internet.
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So bodenständig, so verzweifelt banal und fast schon lächerlich profan brachten Dramaturg Konstantin Küspert und Regisseur Jan-Christoph Gockel am Samstagabend die Dimension der weltweiten Spähattacke durch westliche Geheimdienste auf die Bühne. Und stellten damit gleich am Anfang der Vorpremiere für die Uraufführung am Sonntag ziemlich unterhaltsam die Frage: Wie kann man diesen unerhörten Angriff auf unsere Freiheit bildlich fassen?

In eineinhalb Stunden sensationellen Monologs verkörpert Thomas Halle den als Held gefeierten und gleichzeitig als Vaterlandsverräter von den USA verfolgten Whistleblower Edward Snowden.

Auf der Suche nach geeigneten Bildern für die folgenreichen NSA-Machenschaften entwirft Halle alias Snowden Skizzen - um sie gleich darauf wieder auszuradieren. Passt nicht, nein, nochmal von vorne anfangen.

Denn das Bild schlechthin, das ikonographische Symbol für diesen unerhörten Vorgang gibt es nicht. Während sich etwa das Foto des schreienden nackten vietnamesischen Mädchens auf der Flucht aus einer Napalmwolke oder das der fallenden Türme des World Trade Center ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben, haben wir für die weitreichenden Erschütterungen durch Snowdens Enthüllungen seltsam unaufgeregt - nichts.
(...)

Sechs Monate haben Küspert, Gockel und seine Mitstreiter recherchiert, in Snowdens Heimat USA, in Deutschland mit Hackern, Weggefährten, Politikern wie dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele gesprochen. Dann brachten sie «Ich bereue nichts» nach kurzer Probenphase auf die Bühne - als bundesweit wohl erste Theaterbearbeitung des NSA-Skandals, sagt eine Sprecherin des Staatstheaters.

Intelligent und klug stellen Dramaturg und Regisseur den großartig spielenden Halle auf Bühne: Nackt und als entblößten Menschen, der sich nur noch mit dem Laptop vor dem Geschlecht notdürftig bedecken kann, während er gleichzeitig auf dem Bildschirm seiner Privatheit beraubt wird. Als den USB-Stick anbetenden Affen. Als in Hongkong verlassene Freundin Snowdens im rosa Tütü. Als in eiserner Rüstung gegen allgegenwärtige Überwachung gewappneten Ritter, der das Publikum zu umarmen versucht. Einsam jetzt - denn wer sich so schützen muss, kann nichts mehr spüren.


Nachtkritik.de, 12.10.2014

Edward Snowden als Baby, Edward Snowden als Cowboy spielendes Kind im Kreis seiner glücklichen Familie, Edward Snowden mit seiner Freundin auf Hawaii. Dazwischen Bilder von seinem ersten Computer. Bilder, Bilder, Bilder: "Wie lässt sich der größte Überwachungsskandal der Geschichte in ein emotionales Bild fassen?" Das war die Ausgangsfrage für das Theaterprojekt "Ich bereue nichts" des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, für das der Regisseur Jan-Christoph Gockel, der Schauspieler Thomas Halle und der Autor und Dramaturg Konstantin Küspert verantwortlich zeichnen.
(...)

Wie also kommt man dem ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden nahe? Vielleicht mit richtigen Bildern, mit Fotoalben, die im Zuschauerraum verteilt werden. Und mit Bildern, die von Thomas Halle auf der fast leeren Bühne gespielt werden: Snowden als Don Quijote. Oder als Kind in Cowboyanzug, dem die Mutter sagt, der Vater sei jetzt ausgezogen. Oder Thomas Halle selbst, nackt, mit einem großen Bildschirm vor sich, erklärt, dass er sich im Rahmen dieses Projekts hat überwachen lassen, "damit wir das irgendwie anschaulicher bekommen". Man sieht sein Bewegungsprofil durch Karlsruhe, nach Mainz, Frankfurt und Berlin. Derart symbolisch ist manches an diesem Abend auf der Studiobühne: der nackte Mensch mit einem Bildschirm, durchleuchtet und sichtbar. (...) Es bleibt aber leider oft auch so oberflächlich.
(...)

An anderen Stellen wird man mit Informationen und Daten bombardiert, mit Anweisungen, wie man es schafft, seine E-Mails zu verschlüsseln. Und währenddessen bekommt Halle die Ritterrüstung angezogen, bis er wirklich gut geschützt ist.
(...) Es ist der alte Konflikt zwischen Sicherheit und Offenheit. Das "Stück" zerfällt in einzelne Szenen, (...) Es gibt witzige, kabarettistische Momente, wenn Halle das Internet mit einer Packung Kekse vergleicht
(...)

Thomas Halle gibt sein Bestes, virtuos und glaubhaft spielt er alle Rollen, und er spielt sie so, dass sie auch Rollen bleiben, Versuche der Annäherung. Immer wieder bricht er aus und wendet sich ans Publikum (...) All das ist lobenswert und sehr aufklärerisch, aber keine Antwort auf die selbst gestellte Eingangsfrage des Theaters, wie man ein "emotionales Bild" von Snowden bekomme.


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