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NEUIGKEITEN

Schauspiel-Produktion ANNA IWANOWA - Regisseurin Anna Bergmann im Gespräch

Bühnenbildskizze - Foto: Volker Hintermeier

Anna Iwanowa ist eine hoffnungslose Melancholikerin. Der unbeirrbare Glaube an Fortschritt und eine glückliche Zukunft ist ihr abhanden gekommen. Das menschliche Leben empfindet sie in all seiner Absurdität und Lächerlichkeit als vollkommen sinnlos. Schauspieldirektorin Anna Bergmann wirft einen neuen weiblichen Blick auf Tschechows großen Zweifler.

Anna Haas: Iwanow ist eines der frühen Tschechow-Stücke. Es erzählt von einem Mann, der viel erreicht hat, hoch gebildet ist und gute Geschäfte gemacht hat, schließlich pleite geht und plötzlich keinen Hebel in seinem Leben mehr findet zu handeln. Man könnte es als die Geschichte eines alternden weißen Mannes in der Midlife-Crisis beschreiben. Du erzählst dieses Stück aus der Perspektive einer Frau, als Anna Iwanowa?
Anna Bergmann: Iwanow ist tatsächlich im Originaltext erst Anfang dreißig und befindet sich in der größten Lebenskrise. Depressionen waren als Krankheit weder anerkannt noch überhaupt erforscht. Lebensmüdigkeit zieht sich als Motiv durch einige Tschechow-Stücke, bei Iwanow ganz besonders. Und das passiert auch bei Frauen. In meinen Augen haben Frauen viel mehr Gründe als Männer lebensmüde zu werden, an der Gemeinschaft und am Sinn des Lebens zu zweifeln. Frauen sind oft reflektierter, erkennen die Ursache für ihr Unglück und können vielleicht trotzdem nichts daran ändern. Darin liegt für mich die große Tragik der Figur. Man analysiert genau was los ist und kann sich trotzdem nicht befreien aus diesem Zyklus. Wenn du die Endlosspirale nicht durchbrichst, die zu deinem Unglück führt, wirst du dich aus diesem Unglück nicht befreien. So einfach ist das. Und dann kommt man wieder ins Jetzt.

Bedeutet das eine Aktualisierung? Spielt deine Inszenierung heute?
Im Gegenteil. Zunächst soll der Abend eine größtmögliche Distanz zu unserem heutigen Alltag schaffen. Erst im letzten Akt kommen wir im Hier und Jetzt an. Davor arbeiten wir mit historisierenden Elementen. Unsere Kostümbildnerin Lane Schäfer entwickelt eine ganz eigene Welt mit traditionell russischen Kostüm-Elementen. Gleichzeitig sind die Kostüme signifikant für den Seelenzustand der Figuren. Wenn Iwanowa zur Party von Sascha geht, trägt sie ein Kleid, das mit Vögeln geschmückt ist, die sich im Laufen bewegen. Sie laufen mit ihr mit. Eine Art Fantasiebild. Wir spielen mit der Idee, dass vielleicht alles nur im Kopf der Iwanowa stattfinden könnte und trotzdem hat es eine Realität. Wahn- und Depressionsbilder vermischen 17.11.22 sich mit der Realsituation. Es ist eine eigentümliche Welt, die mich interessiert, die man als einen dritten Ort bezeichnen könnte. Ein mit einer gewissen Entfremdung beziehungsweise Verfremdung verknüpfter Ort, der eine möglichst große Distanz zum Hier und Jetzt schafft. Und gleichzeitig der Versuch, über die Figuren eine möglichst große Identifikation zu erreichen. Ich glaube, je fremder einem etwas ist, desto genauer betrachtet man die Sache, um dann doch wieder an einen Punkt zu finden, an dem man sagt, man erkennt sich vielleicht auf eine ganz andere Art und Weise.

Und wie wird die Bühne aussehen?
Der Raum ist quasi ein psychologisch aufgeladener Raum. Ein schwarzer Guckkasten dessen Boden mit Kohle bedeckt ist. Man könnte assoziieren, dass man sich in einer Welt nach einem Kriegszustand, nach einer Umweltkatastrophe, nach etwas Verheerendem befindet. Niemand kommt unbeschmutzt, unbehelligt aus dieser Situation. Und am Ende explodiert vielleicht alles. Alle Menschen, die sich auf diesem Boden bewegen, nehmen automatisch nach und nach die schwarze Farbe ein. Es ist wie ein Seelenraum der Iwanowa. In ihrer Wahrnehmung ist alles düster. Und zugleich gibt es einen über die Bühne reichendem Lichtplafond, der sich auf- und absenken kann und so den Raum einengen oder öffnen kann. Immer wieder ist es strahlend hell und man bekommt das Gefühl, dass vielleicht doch alles noch ein gutes Ende nehmen kann. Ich finde, dass Theater als ästhetisches Medium unbedingt mit einer gewissen Kunstform der Darstellung, sowohl in der Ausstattung, als auch in der Spielweise, arbeiten muss. Ich möchte eine eigene sehr künstlerische Welt auf die Bühne bringen. Es tut auch Tschechow sehr gut, wenn man das nicht in einen Fernsehrealismus verpackt.

Tickets unter: ANNA IWANOWA
Premiere 29.10.22