VOLKSTHEATER-LABORE - Interview mit Leiterin Nike-Marie Steinbach
Es gibt Momente im Theater, bei denen man überwältigt wird: Von der Gegenwart, von Figuren und Begegnungen, die mitreißen oder still werden lassen und den Raum öffnen für gemeinsame Erfahrungen. Unser Spielzeitmotto „Wo ist die Grenze?“ bildet für unseren Raum, das VOLKSTHEATER 2022/23, einen mitnichten festgetackerten Rahmen, den wir an dieser Stelle mit Vorfreude aufziehen:
Sabrina Toyen: Nike, was verbindest du mit der Frage „Wo ist die Grenze“?
Nike-Marie Steinbach: Das Thema Grenzen treibt mich schon lange um. Nicht zuletzt wenn ich an meine eigenen stoße und merke: Ich kann die Welt immer nur aus meiner eigenen Perspektive wahrnehmen und verstehen. Theater aber entsteht nicht allein. Alle Menschen, die an einer Produktion beteiligt sind, bringen ihre individuellen Perspektiven mit. Wenn wir die zusammenbringen, in Geschichten und Bildern verweben, dann können Erzählungen entstehen, die über uns hinauswachsen. Auch ästhetisch reizt mich das Spiel mit Grenzen: der zwischen Publikum und Spielenden, den Begrenzungen des Theaterraums, ist das noch Bewegung oder schon Tanz? Inhaltlich habe ich mich mit Wir wissen noch nicht was es wird aber es geht um Sex, das ich in Darmstadt inszeniert habe, einem Tabu genähert. Ich wollte das Thema Sexualität in seiner alltäglichen Schönheit und Vielschichtigkeit betrachten. Entstanden ist dabei ein intimer, poetischer Abend, der sich weder künstlerisch noch inhaltlich einordnen lässt – eine Versuchsanordnung eben.
ST: Und ich freue mich sehr, dass wir ihn mit Unterstützung des Staatstheaters Darmstadt hier in Karlsruhe zeigen können! Auch, weil das Karlsruher Publikum dich so als Regisseurin in dieser Spielzeit direkt mit zwei sehr unterschiedlichen Arbeiten kennenlernen kann – mit Der zerbrochne Krug, einem Klassiker par excellence, und einer Stückentwicklung, die extrem heutig daherkommt.
NMS: Eine Stückentwicklung wird in dieser Spielzeit auch dein erstes Projekt sein …
ST: Stimmt! Gemeinsam mit der Choreografin Marielle Amsbeck bereite ich den Tanztheaterabend Übergrenzen vor. Es ist vielleicht kein Zufall, dass wir in unmittelbarer Nähe zum Weltfrauentag Premiere feiern, denn es wird um den Status Quo der Frauen* einer Generation Y gehen, die, irgendwo zwischen 25 und 40, Männer*domänen und Kinderwunsch, Feminismus-Rollback und zu pflegenden Angehörigen, ihr Leben so selbstbestimmt wie möglich gestalten. Diese Lebensphase gemeinsam mit sehr unterschiedlichen Frauen* auf der Bühne zu verhandeln, erscheint mir als wohltuender Kontrapunkt zu medialen Glücksversprechen, die Feminismen mit einer Abrissbirne auf ihre ökonomische Verwertbarkeit hin
abklopfen und fehlender Solidarität. Jetzt warte ich auf die girl*gang!
NMS: Eine vielversprechende Performerin, Lina Bischoff, wird im STUDIO bereits zu Beginn der Spielzeit zu sehen sein und ich freue mich riesig, dass sie mit ihrem Soloabend Unerhört nach Karlsruhe zurückkehrt.
ST: Was ist für dich das Besondere an Unerhört?
NMS: Lina Bischoff hat einen intimen, informativen, poetischen und auch unterhaltsamen Abend zum Thema Hörbeeinträchtigung entwickelt, der für jegliche Form der Diskriminierung sensibiliert – ganz ohne anzuklagen.
ST: Diese Offenheit prägt auch unsere Themenstellungen und Wünsche an Ensemblearbeit – hellwach zu sein für Geschichten, die nicht die eigenen sind und das Potenzial unterschiedlicher Perspektiven zu vergegenwärtigen.
NMS: Uns selbst und einander. Und wenn wir von Grenzen erzählen, erzählen wir von uns.
Sie haben Lust mitzumachen?
Folgende VOLKSTHEATER-LABORE starten im Oktober:
DIE ABENTEUERLICHEN 6 – 10
31.10. – 4.11.22
Anmeldung volkstheater@staatstheater.karlsruhe.de
DIE ENTDECKENDEN
4.10.22 18.00 Laboreröffnung
DIE SPRECHENDEN
5.10.22 19.00 Laboreröffnung
DIE SCHAUENDEN
6.10.22 18.00 Laboreröffnung
Weitere Informationen finden Sie hier.