Ballettmanager Florian König über David Dawsons Neuinterpretation des Ballettklassikers GISELLE
Giselle ist der Inbegriff des romantischen Balletts. Seit seiner Uraufführung am 28. Juni 1841 an der Pariser Oper in der Choreografie von Jules Perrot und Jean Coralli ist das Ballett nicht mehr aus dem Kanon der großen Handlungsballette wegzudenken. Inspiriert von Heinrich Heines Erzählungen über die Willis, verwunschene Bräute, die vor ihren Hochzeiten den Tod fanden, verbirgt sich hinter diesem Ballett eine märchenhafte Erzählung, um die unglückliche Liebe des Bauernmädchens Giselle zu Albrecht, der trotz adeliger Herkunft vorgibt, ein einfacher Bauer zu sein. Die spätere Offenbarung und Tatsache, dass Albrecht bereits einer anderen versprochen ist, reißt Giselle in den Tod und in die Reihen der Willis, die nachts als rastlose Geister durch die Wälder streifen. Der französische Komponist Adolphe Adam trug mit seiner Musik zum Erfolg des Balletts bei, wobei in der mehr als 170 Jahre alten Geschichte immer wieder Ergänzungen anderer Komponist*innen Einzug in die Partitur gehalten haben, um die tänzerische Virtuosität bestimmter Stellen hervorzuheben.
Dieser Klassiker des Ballettrepertoires stand auch in Karlsruhe bereits auf dem Programm. 2004 holte die ehemalige Ballettdirektorin Birgit Keil die originalgetreue Fassung von Sir Peter Wright auf die Karlsruher Bühne, die 2012 noch einmal als Neueinstudierung eine zweite Premiere feierte. Wrights Fassung, 1966 für das Stuttgarter Ballett kreiert, vereint alle Elemente des Balletts, die bereits im 19. Jahrhundert angelegt waren: Ein idyllisches Bauerndorf in den Weinbergen am Rhein, eine Grabstätte im Wald und traditionelle Kostüme, darunter besonders die romantischen, langen Tutus der Willis im 2. Akt.
Nach zehn Jahren Pause war es der Wunsch von Ballettdirektorin Bridget Breiner diesen Klassiker wieder auf den Spielplan zu nehmen und zugleich eine frische, neue Interpretation zu präsentieren, die ihrer Vision für das STAATSBALLETT, das Ballett des 21. Jahrhunderts auf die Bühne zu bringen, gerecht wird. Fündig geworden ist sie hierbei bei David Dawsons Giselle, die der Brite 2008 als Auftragswerk und zugleich erstes großes Handlungsballett für das Semperoper Ballett Dresden entwarf. Als großer Verehrer der klassischen Technik und Revolutionär des Balletts hat Dawson es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte aus dem Kontext des 19. Jahrhunderts zu befreien und eine in jeder Hinsicht zeitlose Fassung zu kreieren, die die pure Ästhetik des Tanzes und die emotionale Ebene des Werkes in den Vordergrund stellt. Frei nach dem Sprichwort „Amor Vincit Omnia“, „Liebe siegt über alles“, ist seine Giselle ein Werk über die Liebe, die einhergeht mit Verlust und Opfern, aber die universell ist und ewig. Unterstützung hat er dabei neben der Kostümbildnerin Yumiko Takeshima und dem Lichtdesigner Bert Dalhuysen vor allem bei dem Bühnenbildner Arne Walther gefunden, der für die beiden Akte eine Tag- und eine Nachtwelt erschaffen hat. Geschwungene Formen erzeugen ein Bild ästhetischer Anmut und Klarheit und bilden einen klaren Kontrast zu sonst quadratischen Formen von Häusern, Feldern oder Städten. Das Nachtbild des 2. Aktes ist ein Spiegelbild des Ersten, dominiert von dem kreisrunden Vollmond. Wir erleben Räume, die unsere Fantasie öffnen für Assoziationen zur Wirklichkeit, aber auch zur Symbolik von Reinheit, Kreuzungen, Grenzenlosigkeit, Leere oder dem Licht in der Finsternis. Eine Welt, in der sich echte menschliche Geschichten und Schicksale abspielen, unabhängig von Raum und Zeit.
GISELLE
Ballett in zwei Akten von David Dawson
Musik von Adolphe Adam, arrangiert von David Coleman
KARLSRUHER ERSTAUFFÜHRUNG
Premiere 19.11.22 19.30 GROSSES HAUS
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