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Autorin Mareike Fallwickl im Interview zu ihrem Roman „Die Wut, die bleibt"

Emma Suthe, Frida Österberg - Die Wut, die bleibt - Foto: Felix Grünschloß

Helene, Mutter von drei Kindern, steht beim Abendessen auf, geht zum Balkon und stürzt sich ohne ein Wort in den Tod. Die Familie ist im Schockzustand. Plötzlich fehlt ihnen alles, was sie bisher zusammengehalten hat: Liebe, Fürsorge, Sicherheit. Helenes beste Freundin Sarah, die Helene ihrer Familie wegen zugleich beneidet und bemitleidet hat, wird in den Strudel der Trauer und des Chaos gezogen. Lola, die älteste Tochter von Helene, sucht nach einer Möglichkeit, mit ihren Emotionen fertigzuwerden, und konzentriert sich auf das Gefühl, das am stärksten ist: Wut.

Dein Roman ist emotional herausfordernd. Welche Rückmeldungen haben dich von der Leser:innenschaft erreicht?

Sehr, sehr viele: Frauen haben mir geschrieben, sie haben das Buch gelesen und sich danach die Haare abrasiert oder sich zum Boxen angemeldet oder sich scheiden lassen. Sie haben sich mit anderen Frauen verschwestert, „Angry Female Bookclubs“ gegründet und sich vor allem mit ihrer Überlastung nicht mehr so allein gefühlt. Männer haben mir geschrieben, sie haben nach der Lektüre des Buchs angefangen, die Familienarbeit neu aufzuteilen, und sehen jetzt die Wut der Frauen in ihrem Leben mit anderen Augen. Ein Politiker in Österreich, Michael Lindner, ist zurückgetreten, nachdem er Die Wut, die bleibt gelesen hatte, um die Care-Arbeit für die beiden Söhne, die bis dahin seine Frau allein gestemmt hatte, zu übernehmen.

Am Beginn steht ein drastisches Ereignis – der Suizid von Helene. Was war dein Impuls, diese Geschichte so anfangen zu lassen?

Ich hatte im Lockdown eigentlich etwas anderes geschrieben, etwas Nettes. Das wirkt jetzt im Rückblick ziemlich ironisch. Dieser Roman war so gut wie fertig, als wir im Februar 2021 wieder im Shutdown saßen – das war eine düstere Zeit, in der überhaupt nicht klar war, wie es weitergeht, es gab keine Impftermine, keine Lockerungen, keine Aussicht auf Veränderung. Zu dem Zeitpunkt habe ich Nachrichten bekommen von Frauen, von Freundinnen, die Mütter sind, die geschrieben haben: Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich spring jetzt einfach vom Balkon. Und dieser im Idealfall hypothetische Satz, mit dem wir Verzweiflung ausdrücken, hat mich plötzlich elektrisiert. Ich habe mich gefragt: Was, wenn eine das wirklich macht? Welche Geschichte kann dann entstehen, wohin führt das? Also hab ich im größten Homeschooling-Tralala am Küchentisch meinen Laptop herangezogen und die erste Seite geschrieben, wie sie im Buch steht. Und gemerkt: Verdammt, das ist viel besser als der nette Roman, den du grad fertig hast. So ist Die Wut, die bleibt entstanden – durch die Umstände, durch die Ereignisse.

Der weiblichen Wut kommt eine Schlüsselrolle zu. Was bedeutet weibliche Wut, und müssen Frauen wütend  sein lernen?

Dass Frauen die Wut aberzogen wird, ist unendlich praktisch. Und für das System dringend notwendig, denn Frauen haben in Wahrheit sehr viel Grund, wütend zu sein. Weil sie aber nirgends hinkönnen mit dieser Emotion, richten sie sie oft nach innen, in Form von Selbstabwertung. Frauen sagen „ich bin gar nicht wütend, ich bin enttäuscht“, oder weinen vor Wut, weil das Ausdrucksmöglichkeiten sind, die wir ihnen erlauben. Durch die Jahrhunderte wurde weibliche Wut dämonisiert, sexualisiert und pathologisiert – wenn wir uns beispielsweise die Mythen anschauen, sehen wir: So gut wie alle weiblichen Figuren darin werden abgestraft, weil sie an irgendeinem Punkt Nein zu einem Mann gesagt haben.

Die Zeit der Pandemie, in der Die Wut, die bleibt entstand, machte die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit sichtbarer – ein zentrales Thema in deinem Roman. Glaubst du, dass sich seither etwas verändert hat?

Nein. 98 Prozent der Frauen nehmen die lange Elternzeit, 25 Prozent der Väter sagen, sie beteiligen sich an der Kinderbetreuung, das bestätigen aber nur 10 Prozent der Mütter, eine Mutter, die drei Kinder bekommt, verliert etwa 70 Prozent ihres potenziellen Vermögens auf Lebenszeit, nur 12 Prozent aller Frauen, die nicht oder Teilzeit arbeiten, tun das freiwillig, 94 Prozent der Väter arbeiten Vollzeit, Väter verdienen mehr als Männer ohne Kinder, aber Mütter verdienen weniger als Frauen ohne Kinder, Frauen erledigen an jedem einzelnen Tag weltweit 12,4 Milliarden Stunden unbezahlte Sorgearbeit, die allein in Deutschland in einem Jahr eine Billion Euro wert wäre und in Österreich in den zwei Pandemie-Jahren 45 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung ausgemacht hätte. Die Erschöpfung der Frauen ist kein zufälliger Kollateralschaden, sie ist die Basis für das gesamte Zusammenleben, wie wir es kennen.

Hier in Karlsruhe wird Die Wut, die bleibt in der Theaterfassung von Jorinde Dröse und Johanna Vatter inszeniert. Wie fühlt es sich für dich als Romanautorin an, deinen Text auf der Bühne zu sehen?

Extrem gut. Ich fühle mich jedes Mal sehr geehrt, und ich weiß inzwischen, wie viel Aufwand, Kraft und Zeit in einem Theaterstück stecken. Es ist schön, dass die Botschaft in einer anderen Form noch mehr Menschen erreichen kann – damit wir alle gemeinsam genauer hinschauen und etwas verändern.


Die Wut, die bleibt
von Mareike Fallwickl
Bühnenfassung von Jorinde Dröse und Johanna Vater
Premiere am 12.4.2025, weitere Termine 17.4., 25.4.