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Taylor Mac

Taylor Mac ist ein*e Theaterkünstler*in, der*die es vorzieht, eine Bio in der ersten Person zu schreiben.

Hallo. Ich bin auch eine*n Theaterkünstler*in, der*die sich danach sehnt, die üblichen Biografien loszuwerden, die aus Listen von Erfolgen bestehen. Hier ist etwas Anderes.

Falls Sie es nicht wissen, mein Pronomen ist judy (nur großgeschrieben, wenn es am Anfang eines Satzes steht, wie ein normales Pronomen). Einige Leute behaupten, ich benutze dieses Pronomen als Scherz. Sie sind uninformiert. Es ist kein Scherz, was nicht heißt, dass es nicht lustig ist. Es ist ein personalisiertes Pronomen für jemanden, dessen Geschlecht (beruflich und persönlich) sich ständig ändert. Mein Geschlecht ist weder männlich noch weiblich noch nicht-binär (was seltsamerweise eine Binarität zwischen Menschen, die nicht-binär sind, und Menschen, die binär sind, schafft). Mein Geschlecht ist „Performer*in“ (eines Tages werde ich es in meinen Pass eintragen lassen). Es ist auch ein Kunstwerk. Stellen Sie sich vor, ein Pronomen zu haben, das ein Kunstwerk ist! Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass es ebenso lästig wie köstlich ist, damit umzugehen. Vielleicht ändern auch Sie sich. Ich nehme an, das ist der Grund, warum ich mir ein Leben im Theater aufgebaut habe, denn es ist ein Leben, das auf den Akt der Veränderung ausgerichtet ist.

Hier noch etwas, worüber einige von uns Theaterleuten in Bezug auf Veränderung nachdenken: Wie können wir das „Wundern“ ins Zentrum der dramatischen Handlung rücken, anstatt das Erreichen von Zielen in den Mittelpunkt zu stellen, die dem Konflikt inhärent sind? Sarah Ruhl sagt, dass Theater am meisten in Form eines männlichen Orgasmus gemacht wird. Das scheint zuzutreffen, wenn man bedenkt, dass Theater in der Regel bis zur Katharsis anschwillt. Aber sollten wir nicht ergänzen, dass das radikal Queere versteht, dass ein männlicher Orgasmus vielfältig, mehrfach und zirkulär sein kann.

Eine Lehrkraft für Schauspiel sagte einmal: „Wenn deine Figur allein auf der Bühne steht, kann sie eines von drei Dingen tun: Beten, Herausfinden oder Erinnern.“ So weise diese Herangehensweise auch sein mag, könnten wir nicht dieses Dreigestirn in eine Verkürzung umwandeln, die eine Erweiterung bietet? Während die Lehrkraft für Method Acting daran interessiert ist, zu zeigen, wie die Menschen sind, sind einige von uns (auch?) daran interessiert, das Theater zu nutzen, um Möglichkeiten zu erkunden. Könnten wir unser Handwerk in einen Akt des Wunderns verwandeln? Mit anderen Worten, wie können wir weniger wissend und stattdessen sokratischer werden?

Und sind diese Handlungen uns nur vorbehalten, wenn wir allein sind? Oder singulär? Oder hierarchisch? Hier noch eine lustige Sache, über die man sich zu wundern beginnt, während man die Leiter hinaufsteigt: Wenn der Zugang zum Turm bedeutet, dass man keinen Zugang zur Straße hat, dann ist es das vielleicht einfach nicht wert, Baby. Und der Turm mag der Raum sein, in dem sich alles abspielt, aber die Straße ist der Ort, an dem es anfängt und wo es abgeht.

Ich frage mich auch: Würde ein isoliertes Kind wirklich vom Theater träumen, wenn es dafür noch mehr Zeit allein verbringen müsste? Obwohl, ist eine Figur jemals wirklich allein? Selbst beim Erproben einer Ein-Personen-Show sind die Macher*innen, die vor uns kamen, anwesend. Anstatt also in einem Wutanfall-Turm-bauen-sich isolieren-du bist dran-ich bin dran-Konflikt zu sein, wie könnten wir uns MIT ihnen wundern?

Ein Anfang könnte sein, uns von Zahlen zu befreien. Vierundzwanzig Stunden. Zweihundert Menschen. Acht Akte. Ein Fünf-Personen-Stück. Neunzig Minuten. Sind all diese Zahlen Mittel, um sich von der inhaltlichen Herausforderung abzuwenden? Tut die Form dasselbe?

Judy war schon immer eine Königin der Form. Ich liebe eine selbstgemalte Karte. Personalisiert, recherchiert, detailliert, figurativ, metaphorisch und unvollkommen. Im Grunde genommen: Die Genres stapeln, die Formen schichten, sich an den menschlichen Tiraden erfreuen, eine Richtung anbieten, bemerken, dass das Bild verblasst ist, sich verirren, feucht werden, erkennen, dass etwas gewachsen ist, das einem schaden könnte, versuchen, es zu reparieren, versuchen, es zu reinigen, hoffen, dass es funktioniert hat, erkennen, dass es das nicht getan hat, sich entscheiden, den Schaden zu nutzen, einen anderen Weg finden, mit Variationen wiederholen und es Theater nennen.

Und... ich frage mich, ob es an der Zeit ist, darüber nachzudenken, dass Form, Stil, Ästhetik, Tempo, Dauer, Handwerk und Prozess nicht unbedingt Inhalt sind? Oh Schande. Wir haben noch nicht genug kritische Masse hinsichtlich einer Einigkeit erreicht, dass sie Inhalt sind. Gib noch nicht auf, Taylor Mac. Es gibt noch mehr zu tun, bevor wir diesen ganzheitlichen Ansatz durch sabotierende Zweifel entgleisen lassen. Fokus, Gyrl.

Dennoch... es gibt eine nagende Frage: Sind wir alle einfach vom Sternzeichen Jungfrauen, die von Kategorien, Strategien und Listen besessen sind, um unsere nomadischen Unsicherheiten mit einem Organisationsprinzip zu fixieren, das an den Mangel gekettet ist?

Hier habt ihr ein biografisches Detail für diese Bio: Ich bin vom Sternzeichen Jungfrau. Obwohl ich nicht an Astrologie glaube. Die meisten Menschen, die ich schätze, sind verrückt nach Astrologie. Es ist schwer, an einem Glauben festzuhalten, wenn einem das Liebste in die Quere kommt.

Eine andere liebe Sache, die dem Glauben immer wieder in die Quere kommt: Wie können wir still sein und uns dennoch von der puritanischen Dominanz über den Ausdruck befreien? Oder anders formuliert: Wie können wir unsere sanften Seelen an einem steinigen Ort mit so vielen Regeln und Gebirgen bewahren? Müssen die zarten Queens „fierce“ sein, um sich einen Platz in der Welt zu erobern? Um zu überleben? Müssen sie Königinnen sein, Herrscherinnen mit Untertanen? Dürfen sie nicht zart sein? Müssen sie sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen und aus dunklen Höhlen emporsteigen, bereit zum Kampf? Müssen sie prahlen und werben und wachsen, wachsen, wachsen, um überhaupt berücksichtigt zu werden?

Da habt ihr eine betagte Überlegung.

Apropos betagt und Prahlerei und Werbung... zurück zur Bio. Einige Theater, Produzent*innen und Programmhefte haben Regeln für Bios: Keine Witze; niemandem danken; das Persönliche weglassen; die Philosophie vergessen; maximal 100 Wörter; und einfach auflisten. Und vielleicht, in einer Welt mit so vielen Themen, ist eine Liste freundlicher. Müssen wir überall herausgefordert werden? Sollen wir uns in die Ecke manövrieren, selbst im Programmheft? Sollen wir die Leser*innen mit Fragen ermüden, bevor die Vorstellung überhaupt begonnen hat?

Und eine andere Rahmung:  Ist die „Liste“ vergleichbar mit der friedlichen und wichtigen Arbeit des Aufrufs der Namen? Eine Art, zu sagen: "Das ist passiert! Du warst vielleicht nicht anwesend um es zu bezeugen, aber es ist passiert! Erkenne es an!" Und wenn der Titel daran scheitert, dich darüber zu informieren, dass es sich um ein Nebenschaumusical über die Gentrifizierung von Coney Island handelt – mit Bridget Everett, Tigger!, Dirty Martini, Bianca Leigh und Ruby Lynn Maher in den Hauptrollen –, bei dem Julie Atlas Muz die Damenpuppen von Basil Twist in einer Choreographie dabei zusehen ließ, wie Taylor Mac sich nackt und grün angemalt „de-tuckte“ – dann reicht es vielleicht aus, sich mit nichts außer dem Titel in der Hand zu wundern: Red Tide Blooming.

Für den Fall, dass all dies wahr sein sollte (dass eine Aufzählung in einer Bio tugendhafter ist), folgt hier die traditionelle biografische Auflistung von Auftritten (Rituale), wettbewerbsorientierten Gefälligkeiten (Auszeichnungen) und Schulden (Dankbarkeit). Es ist im Wesentlichen ein Anschwellen bis zur Katharsis. Lest es und entscheidet selbst, welches euch den Kontext gibt, den ihr braucht, um euer Herz zu öffnen (vielleicht keines... oh nein, dann müssen wir unsere Hoffnungen in die Show setzen). Oder wie die Dragqueen mit der zusätzlichen Maskenzeit einmal sagte: "Ja, und...".

Taylor Mac ist der*die Autor*in von Joy und Pandemic; Gary: A Sequel to Titus Andronicus; A 24-Decade History of Popular Music; Prosperous Fools; The Fre; Hir; The Walk Across America for Mother Earth; The Lily's Revenge; The Young Ladies Of; Red Tide Blooming; Cardiac Arrest or Venus on a Half-Clam; The Face of Liberalism, Okay, A Crevice, The Hot Month und die Revuen Holiday Sauce; The Last Two People on Earth (zusammen mit Mandy Patinkin, Susan Stroman und Paul Ford); Comparison is Violence und The Be(A)st of Taylor Mac. Mac ist der*die erste Amerikaner*in, der*die mit dem internationalen Ibsenpreis ausgezeichnet wurde, judy ist MacArthur Fellow, Finalist*in des Pulitzer-Preises, Tony-Nominierte*r für Bestes Stück, Empfänger*in des Kennedy-Preises (zusammen mit Matt Ray), des Doris Duke Performing Artist Award, eines Guggenheim-Preises, des Herb Alpert Award, eines Drama League Award, des Helen Merrill Playwriting Award, des Booth-Preises, zweier Helpmann-Preise, eines NY Drama Critics Circle Award, zweier Obie's, zweier Bessies und eines Ethyl Eichelberger. Als Absolvent*in der New Dramatists ist judy derzeit Hausautor*in am Here Arts Center.

Vielen Dank an Linda Brumbach, Alisa Regas, Kristin Marting, Morgan Jenness, Nina Mankin, Lynbarbara Mahler, Liz Swados, Paul Lucas, Machine Dazzle, Matt Ray, Niegel Smith, Robin Bowyer, Marcy Coburn, Kat Wentworth, Patt Scarlett, Mom und all die Leute, die immer wieder kommen.

 

Zu Deutsch von Kevin Krougliak und Judith Blumberg. Das englische Original finden Sie auf Taylor Macs Homepage: www.taylormac.org

TextHIR