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Hans-Klaus Jungheinrich, Frankfurter Rundschau, 9.10.2012

In Aron Stiehls durchdachter, motivisch ausgefeilter Karlsruher Inszenierung läuft das anders. Nicht nur, dass Venus und Elisabeth – das gab es schon – von ein und derselben Person gesungen werden (mit klarem, festem Timbre und auch beim Gebet im dritten Akt noch so kräftig „geerdet“, dass die Identität einer somnambul Entrückten bedeutsam schwankt: Heidi Melton); (…) Die unter leichtgeschürzten Höllenlustgestalten – lebhaft ballettös animiert von Davide Bombana – merkwürdig Spröde hat die Demonstration der ganzen erotischen Arbeit denn auch dem tänzerischen Personal zu überlassen. Ihr Auftritt am Opernende zieht, mithilfe der elisabethanisch-heiligmäßigen Schlussmusik, die Venussphäre ganz ins Pilgerische hinüber: Mütterlich wacht sie über dem sterbenden Tannhäuser, Venus und Elisabeth zugleich (…)
Die „Tannhäuser“-Bilder rosalies: eine eigenständige ästhetische Dimension. Freilich auch eine in jedem Detail (auch mit der subtilen Lichtregie) präzis auf die Dramaturgie bezogene Bildersprache – auch hinsichtlich der Kostüme, die kaum „historische“ Anleihen benötigten. In der Titelrolle stand mit John Treleaven eine überragende Persönlichkeit auf der Bühne, die vor allem den Mittelakt entscheidend dominierte und den jähen Zusammenbruch des Einzelgängers – eben noch ein kecker, souveräner Herausforderer, dann ein in seinem Lebensnerv Getroffener – vehement glaubhaft machte. Auch stimmlich zeigten sich da erstaunliche Reserven („Erbarm dich mein“). (…)
Ohne Tempoüberhitzung sorgte Justin Brown für wirkungsvoll aufgewölbte Tableaus und stringente Dramatik, im Verein mit der da besonders klar gliedernden, Einzelne und Massen voneinander abhebenden Regie, in den konvulsischen Schlussphasen des zweiten Aktes. Viel Beifall für eine exzellente Neuproduktion. Was würde ein derart interessanter, überragender „Tannhäuser“ in Bayreuth erst für Furore machen!


Jürgen Hartmann, Stuttgarter Zeitung, 9.10.2012

Justin Brown glättet die Brüche, die das Werk charakterisieren, nicht, sondern er führt sie dem staunenden Hörer ausführlich vor. (…) Des Dirigenten glückliches Händchen für Wagner trifft also auch im „Tannhäuser“ den Kern und zaubert wundermild transparente, leise Passagen ebenso hervor wie überschäumende, die Gesangsstimmen gelegentlich in Abseits drängende Ausbrüche. (…) Regisseur Aron Stiehl garantiert für die Spannung zwischen den Personen im Raum, erfindet viele Mikrohandlungen auch für den großen Chor und setzt immer wieder klar ausgearbeitete Akzente, die die Aufmerksamkeit auf Details lenkte. (…) Konstantin Gorny als Landgraf grundiert heitere Jovialität mit üppigem Bass, und der 13-jährige Tom Volz gewinnt als junger Hirte die große Bühne (und die Zuschauerherzen) im Handumdrehen. Wie in Karlsruhe gewohnt, sind auch die kleinsten Partien stark besetzt, und der Staatsopernchor meistert seine Aufgabe gut.


Wolf-Dieter Peter, DeutschlandRadio, 9.10.2012

Jubelndes Liebesglück und „der Gnade Heil“ werden auch in Karlsruhe dem Tabu-brecherischen Künstler Tannhäuser nicht zuteil: Er stirbt als Außenseiter. In seinen Händen hält er jedoch eines seiner Notizbücher: schwarz eingebunden, aber innen lauter sündig rote Seiten – Seiten, die schon zuvor den Weggefährten Wolfram beeindruckt haben. Dieses Buch nimmt eine Chordame, hält es begeistert hoch – alle anderen Pilger recken die Arme danach: eine mögliche Vereinigung von Spiritualität und Sinnlichkeit, ein später Triumph des Künstlers – wie so oft erst nach seinem Tod, während er zuvor als Sendbote des Künftigen verdammt wurde. Hier wie den ganzen Abend über haben Regisseur Aron Stiehl und die für Raum, Lichtskulptur und Kostüme verantwortliche Künstlerin rosalie zusammengefunden. Keiner dominiert den anderen.
Heidi Melton sang in nur nuanciert unterschiedlichen Kostümen eine schwarzhaarige Venus mit schöner Tiefe und eine blonde Elisabeth mit strahlender Höhe. John Treleavens Tannhäuser steigerte sich in den „Erbarmen“-Rufen des zweiten Aufzugs und gestaltete dann ein beeindruckendes Ende des Außenseiters. Der vokale Lorbeer aber war Armin Kolarczyks Wolfram zu reichen – nicht nur, aber auch für sein „Abendstern“-Lied: markant männlich und doch lyrisch. Dazu ein rollendeckendes, fein ausdifferenziertes Ensemble um den markanten Landgrafen Konstantin Gornys.


Stefan M. Dettlinger, Mannheimer Morgen, 9.10.2012

Hervorzuheben sind unbedingt Armin Kolarczyks Wolfram (eine sensationell runde, wohlige und kultivierte Baritonstimme) und Heidi Melton, die überaus souverän (mit einer Spur zu viel Vibrato) eine ziemlich gute Venus und Elisabeth singt – und natürlich ist das nur eine einzige Frau, denn die reine heilige Liebe zu Elisabeth führte nur dahin: „Wenn du in solchem Schmachten bangtest, versiegte wahrlich wohl die Welt.“ Tannhäuser weiß das. Als Einziger. Was für ein schöner Tod! Der Saal tobt! Was für ein Beifall!


Eckhard Britsch, opernetz.de, 9.10.2012

Ein Fest der Sinne soll hier angerichtet werden, denn rosalie steht bekanntlich für opulente Optik und Ausstattungsmerkmale aus der industrialisierten Welt, für kühne Lichtregie und phantasievolle Assoziationen, während Aron Stiehl in dieses Tableau psychologische Feinzeichnung der Figuren einbettet. Und alles vor dem gedanklichen Horizont einer heidnischen Welt, in der das irdische Lustprinzip nichts Böses beinhaltet, gegen ein verklemmtes Christentum, das im Verweis auf Transzendenz und Entsagung letztlich zerstörerisch wirkt. Pilger Tannhäuser, ohne Gnade aus Rom zurückgeschickt, scheitert daran ebenso wie Elisabeth, die ihre Liebe nicht leben darf.
Die Klasse der Badischen Staatskapelle unter Generalmusikdirektor Justin Brown ist an dieser Stelle schon mehrfach hervorgehoben worden. Die Ausleuchtung der Tannhäuser-Partitur aber ist in Transparenz, Auslotung auch der Nebenstimmen und feinem Pathos kaum zu überbieten. Dazu der Riesenchor, von Ulrich Wagner einstudiert. Musikalisch eine wirklich überzeugende, packende Gesamtdarstellung. Das Premierenpublikum feiert den Tannhäuser-Event stürmisch.


Susanne Benda, Stuttgarter Nachrichten, 9.10.2012

Rosalies Farblicht-Guckkastenbühne, die von wechselweise rot, violett, blau und grün strahlenden Quader-Wänden eingerahmt wird, ist eine starke Behauptung, und die drei (sic!) riesigen schwebenden Tänzer-Röckchen mit den zur Decke gestreckten Tänzer-Beinen sind im ersten Akt ebenso einfache, dominierende Chiffren wie im letzten Akt die beiden schwarzen Todesengel mit ihren Schmetterlingsflügeln oder wie im zweiten Akt die künstlichen Natur-Rasenflächen mit Uhu, Wolf, Schaf, Baum und Reh, die sich als ironische Bild-Kommentare vom Schnürboden herabsenken. Rosalie gelingt ein feines Spiel mit Deutungen und Verrätselungen, das sich gemeinsam mit Wagners Klängen beharrlich im Gedächtnis einnistet.


Alexander Dick, Badische Zeitung, 10.10.2012

Venus und Elisabeth werden von einer Sängerin verkörpert, wie einst, 1972, in Götz Friedrichs diskursiver Bayreuther Version. Eine ob der unterschiedlichen stimmlichen Anforderungen an die beiden Partien höchst schwierige Aufgabe ist das. Doch ohne Übertreibung darf gesagt werden: Heidi Menton meistert sie nicht nur, sie steht interpretatorisch sogar darüber. Die amerikanische Sopranistin verfügt über einen hochsensiblen, bis in die Spitzen hinein runden Sopran, der trotz seiner dramatischen Ausdruckskraft sich einen lyrischen Charakter bewahrt hat.
Vordergründig überrascht es nicht, dass Rosalies hermetischer Einheitsraum frühere Lichtinstallationen der Künstlerin zitiert. Darin spiegelt sich ein Credo all ihrer Arbeiten wider: "Einfache Dinge finden, einfache Zeichen setzen." Die Allmacht ihrer Farben und Formen dominiert phänotypisch – äußerlich – diesen "Tannhäuser". Aber nicht nur. Und so gelingt ihr seit ihrer ersten Auseinandersetzung mit Wagner, dem Bayreuther "Ring" 1994, ihre atmosphärisch dichteste Arbeit. Bilder von großer Nachhaltigkeit sind das. (…) Das Ganze funktioniert indes so trefflich, weil Regisseur Aron Stihl sich nicht von der Bildmacht in die Defensive drängen lässt. Er inszeniert sowohl die große Linie wie auch das Detail. Einen solch originellen Sängerkrieg mit Kindern, einem vor sich hindösenden Landgrafen oder einem Rezensenten, der fleißig mitschreibt, hat man selten gesehen. Ein wesentliches Moment in Stihls Interpretation ist das niedergeschriebene Wort. Das Papier mit Tannhäusers Versen ist für Elisabeth ein Fetisch; sie wird es vor ihrem Tod Wolfram übergeben, er zitiert daraus sein Lied an den Abendstern – eine originelle, kluge Sichtweise. Und "der Gnade Heil" verheißt zu Wagners Schlussapotheose der Griff aller nach der Schrift, dem fixierten Gedanken.
Die Karlsruher Produktion wagt den Rekurs auf Wagners so genannte Wiener Fassung mit dem Bacchanal und einer intensiveren Gestaltung der Venus-Partie. Es wäre gut, wenn sich diese wohl schlüssigste aller "Tannhäuser"-Versionen noch mehr durchsetzte. Der Karlsruher GMD Justin Brown sucht nach Detailschärfe, nach den Kontrasten, die sich in dieser stilistisch noch so unentschlossenen Partitur wiederfinden. Die Badische Staatskapelle meistert die Klippen mit großem Engagement und dem Willen zur Präzision – was bei den Holzbläsern nicht immer ganz funktioniert. Faszinierend sind vor allem die Ensembles, deren Aufbau Brown exzellent nachzeichnet.


Udo Klebes, Der neue Merker, 10.10.2012

Sollte die beste der vielen Neuinszenierungen zum bevorstehenden Richard Wagner Jahr von einer Fach-Jury gekürt und mit einem Preis ausgezeichnet werden, hätte das Badische Staatstheater gute Chancen der Sieger zu sein. Denn eine Produktion, bei der sich Szene und musikalische Wiedergabe so glücklich vereinen wie hier ist in der heutigen Zeit, wo Regien oft rücksichtslos der Musik übergestülpt werden und egoistisch eigene Wege gehen, schon eine Seltenheit geworden. Vielleicht war es schlicht und einfach auch die daraus resultierende Dankbarkeit, aus der heraus das Publikum diese Premiere eine Viertelstunde lang euphorisch feierte. (…)Mit spiegelnden Boden- und Wandsegmenten sowie wenigen, aber dominierenden Requisiten schafft die für ihre außergewöhnlichen Installationen bekannte Kunstgestalterin Rosalie farblich fluoreszierende Sinnbilder (Licht: Stefan Woinke) zwischen rot, violett, grün, blau und gelb, die in ihrer Darstellungsweise phantasievoll sind und doch Konventionen bedienen. Durch die heutigen technischen Mittel ganz neue Klangräume zu ermöglichen und dennoch das Wesentliche und die Sinnhaftigkeit des Geschehens zu berücksichtigen – so lassen sich auch ungewohnte bildliche Eindrücke positiv verkaufen. Im ersten und dritten Akt rücken zwei hohe schwarze baumartige Gebilde in den Mittelpunkt, die sich als das verführerische Reich der Venus entpuppen. In dessen verschiedenen Ebenen räkelt sich ein Teil des Ballettensembles, voran die geschmeidigen Solisten Flavio Salamanka und Rafaelle Queiroz, in einer passend zur Musik des Bacchanale fließenden, aber auch mit der passenden Prise Erotik aufgeladenen Choreographie von Davide Bombana. Ganz am Schluss, nach der Niederlage der Venus, verwandeln sich diese Aufbauten in zwei Altäre, deren Flügel Schmetterlingen gleichen und als Körper zwei Frauentorsi zeigen. Bei diesen Bildbeschreibungen könnte eine Einengung bzw. an den Rand Drängung der Personenregie nahe liegen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Gerade auch für die musikalischen Belange erweist sich die phantasievoll gestaltete Bühne als vorteilhafter akustischer Raum. Davon profitierte denn auch das gesamte Ensemble.

Mit John Treleaven hat sich das Badische Staatstheater einen der wenigen echten Helden des Wagner-Tenor-Faches geangelt, der zudem über viel Bühnenerfahrung verfügt, und in Anbetracht seines begonnenen siebten Lebensjahrzehnts neben einer erstaunlich jungen Physiognomie über eine Stimme gebietet, die sich die immens fordernde Tessitura dieser Partie in keinem Moment erkämpfen muss. Eine kluge ökonomische Einteilung der Kräfte sowie die trotz hie und da schwerfällig einschwingender Töne erstaunlich leicht erzielte Gesangslinie gestatten dem Briten, allen dynamischen Abstufungen gerecht zu werden und entsprechend heikle Momente (die Steigerung der Hymne im ersten Akt, das Flehen um Erbarmen nach der Verbannung, die erregten Ausbrüche der Rom-Erzählung) als packende Höhepunkte aufzubauen. Zu diesem noch üppig vorhandenen Klang-Reichtum, einem in keiner Lage grell werdenden Timbre und dem großen Atem für die Steigerungen gesellt sich noch eine Ausdrucks-Intensität, die sich mit seiner körperlich-mimischen Gestaltung deckt und z.B. seinen verklärten Sterbeblick zu einem glaubhaft berührenden Moment werden lässt. Im Gegenzug spielt er hier zuvor genüsslich einen Egoisten, der unfähig zur Diskussion und aus seiner Zerrissenheit zwischen den beiden Frauenwelten heraus ein fähiger Künstler ist. Genau dafür hat Treleaven die überzeugende charismatische Präsenz. Eine großartige Leistung!


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