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BT, Thomas Weiss, 26.4.2013

Im Studio des Badischen Staatstheaters Karlsruhe ist nun Patrick Wengenroths Bühnenfassung des Buchs von Theweleit uraufgeführt worden. Wobei Wengenroth den eindrucksvollen Schauspieler Klaus Cofalka-Adami das Alter Ego des Autors spielen lässt, der im Studio, umgeben von vier Frauen, immer tiefer in die Freikorps-Geschichten eintaucht und darin zu verschwinden droht. Unterstützt wird Wengenroth dabei von der Bühnen- und Kostümgestaltung von Sabine Kohlstedt.
Wengenroth greift das Collagenprinzip der Vorlage auf, die er mit vielen, oftmals den Text Theweleits kommentierenden-konterkarierenden Musikeinlagen, von "No women, no cry" bis zu "Ich hatte einen Kameraden", versieht. Ganz nebenbei wird das Diskussionsniveau der immer wieder auftauchenden Sexismusdebatten, deren Reflexionsniveau oft keinen Deut höher ist als die in Karlsruhe genutzten deutschen Schlager, der Lächerlichkeit preisgegeben. Denn der humoristisch-persiflierende Ansatz, der von Wengenroth und seinen spiel- und sangesfreudigen Darstellern gepflegt wird, macht die Diskrepanz der verdienstvollen Aufarbeitung des faschistischen Frauenbilds - einerseits die beschützend-unterdrückende Mutter und die reine, asexuelle weiße Krankenschwester, auf der anderen Seite die rote, sexuell herausfordernde Kommunistenhure - und eines theoriegesättigten Überbaus deutlich, der um sich selbst kreist.

Klaus zeigt beim Eindringen in die Freikorps-Geschichten immer mehr faschistoide Züge, einen ungebremsten Hang zur (Bühnen)-Gewalt und entledigt sich der ihn bedrängenden Frauen geradezu lustvoll mittels Gewehrschüssen. Dass der "beste Kamerad" der Mitglieder eines Freikorps, das Pferd, in persona auf die Bühne kommen muss, bleibt zwar ein überflüssiger Gag, insgesamt aber sagt das anspielungsreiche, immer wieder ironisch gebrochene Stück viel über die Befindlichkeiten der 1970er Jahre und weit darüber hinaus aus.


Süddeutsche Zeitung, Viktoria Grossmann, 27.5.2013

„Männerphantasien“ ist für Wengenroth eigentlich ein idealer Text. Seine vielfältigen Bezüge, seine Verweise auf die Popkultur, die Vielfalt an Bildern von Propagandaplakaten bis hin zu Comics bieten reichlich Stoff für eine Wengenroth`sche Theatershow, wie sie der Regisseur an der Schaubühne und im Hebbel am Ufer in Berlin etwa auch aus Nietzsche-Texten macht. Ein Theaterabend von Wengenroth, das heißt: keine festen Rollen, keine Figuren, eine Mischung aus Performance, Musical und Vortrag.

Wie zuvor schon mit philosophischen Texten von Peter Sloterdijk und Byung-Chul Han feiert das Karlsruher Theater hier einen Denker der Stadt. Auch wenn Theweleit, während er zwischen 1998 und 2008 an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste in Karlsruhe lehrte, Freiburg kaum verlassen hat. Anders als Sloterdijk, Rektor der Hochschule für Gestaltung , dessen „Du musst Dein Leben ändern“ Wengenroth 2011 inszenierte.


BNN, Rüdiger Krohn, 26.4.2013

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Die brutale Abtötung zwischengeschlechtlicher Energien und Wünsche führt beim „soldatischen (was hier immer auch heißt: faschistischen) Mann“ zu ihrer Umwandlung in zerstörerische Impulse, mit denen der „Körperpanzer“ des Mannes sich zur Wehr setzt gegen die verschlingende Flut des Wasserwesens Frau und die dadurch drohende Zersetzung der männlichen Identität durch „das Weib“, das in der Stilisierung zur „roten Hure“ als Metapher für die „rote Flut“ des Kommunismus instrumentalisiert wird. Der in Seele und Sexualität so verkrüppelte Mann wird zum Angstbeißer, verknüpft Schmerz mit Lust und gründet seinen Anspruch auf Überlegenheit auf die Formel „Männerherrschaft durch Frauenopfer“.
In Karlsruhe wird aus diesem höchst komplexen Geflecht, das sich aus literarischen und biografischen Zeugnissen von Freikorps-Soldaten der 1920er Jahre, aus präfaschistischen Gesinnungsdokumenten, aus modernen Erkenntnissen von Soziologie, Anthropologie und Psychoanalyse speist (und im Buch durch zahlreiche Abbildungen gestützt wird), zu einer bunten Collage „nach!“ Theweleit, die große Gebiete dieses ergiebigen Steinbruchs wie etwa das Thema Homosexualität oder die eingehenden Faschismus-Analysen glatt ausklammert, den Selbsterklärungen des Autors aus Vor- und Nachwort dagegen breiten Raum gewährt und sich der aktuellen Gender-Frage eher unterhaltsam nähert. Dabei wird der Abend mit zeitgenössischen, betont unterschiedlichen Text- und Musik-Zutaten farbenfroh durchsetzt – von Frank Schirrmacher bis „Sex in the City“ und Anders Breivik, von Volksliedern und Bob Marley über die Rockband Tocotronic und Rap bis zum drolligen Gangnam Style.
Das mag einen unterhaltsamen, anregenden, bisweilen auch bedenkenswerten Abend zur Selbstfindung von Männern ergeben, der denn auch starken Beifall fand.
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FAZ, Martin Halter, 26.4.2013


Wengenroth nähert sich nun Theweleit mit kritischem Respekt, aber nicht in soldatischer Halbachtstellung. Seine „Männerphantasien“ sind eine entspannte szenische Re- und Dekonstruktion, aufgerauht mit Tiraden von Anders Breivik über die kommunistisch-feministische Verweiblichung des Westens und mit kleinen Späßchen, Freud’schen Versprechern (Evolution klingt immer wie Erektion, Assoziation wie Masturbation) und Liedgut von Udo Jürgens („Ohne Frauen keine Sonne“), Bettina Wegner, Tocotronic und Hausgemachtem („Der Klaus kennt sich aus“) gegen den Strich gebürstet. Die vier Frauen auf der Bühne tragen unter ihren Putzfrauenschürzen tiefdekolletierte Uniformblusen: inkarnierte Männerphantasien von der Frau als Mutter, weißer Krankenschwester und roter Hure, die ihren Psychoanalytiker heraus- und überfordern. Shari Crosson überzeugt als Gangster-Rapperin wie als rote Marie im Babydoll vor dem Erschießungspeloton , und auch Veronica Bachfischer, Ursula Grossenbacher und Lisa Schlegel illustrieren die Bedrohung des männlichen Körperpanzers durch die ozeanisch entgrenzte Frau gefällig mit Thesenschaum, Reitpeitsche und gelangweiltem Sirenengesang.
Die Flintenweiber sind jedenfalls stärker, klüger und härter als der Mann, der in Abwesenheit Theleweits den Klaus gibt. Klaus Cofalka-Adami ist der Meisterdenker, der sich die beiden Bände selbstzufrieden wie Brüste ans Herz drückt, der vom Faschisten-Vater geprügelte Muttersohn und der Frauenflüsterer, der seine Männerphanstaisen von der gewaltfrei fließenden, naturgemäß antifaschistischen Frau ungläubig staunend Fleisch und Widerspruch werden sieht. Wenn die ungehorsamen Weibsbilder es gar zu arg treiben, schwillt dem Hahn im Korb der Komm: Dann ermannt er sich und erschießt sie mit seinem phallischen Gewehr, kindlich vergnügt wie Django unchained.

Wengenroths „Männerphantasien“ sind so etwas wie ein Marthaler-Liederabend für alte Kämpfer und neue Männer an der Geschlechterfront, nicht tief schürfend oder revolutionär, aber doch überwiegend heiter.


Nachtkritik.de, Steffen Becker, 24.4.2013

Regisseur Wengenroth treibt für sein Bühnen-Extrakt Theweleits Collageprinzip auf die Spitze. Der Abend folgt im wesentlichen dem Dreiklang These, Szene, Song (zur heiteren Auflockerung). Zum Beispiel: Der soldatische Mann ist im Grunde ein Roboter, Klaus Cofalka-Adami wird seiner Jedermann-Klamotten entkleidet und tanzt im Glitzerhemd – zur Musik des youtube-Hits "Gangnam Style". Das ist gut gemacht, mit raffiniert gestalteten Übergängen und sehr unterhaltsam.

Die vier Frauen (Veronika Bachfischer, Shari Crosson, Ursula Grossenbacher und Lisa Schlegel) lesen die Theweleit-Texte in den verkümmerten Frauenbilder-Rollen des soldatischen Mannes – Hure, Heilige (Krankenschwester) und Mutter. Das überträgt sich auf die Darbietung, die sich zu oft auf Spott in Form von Erotikfilm-Sprechweisen erschöpft. Nur selten können sie aufblitzen – etwa, wenn Shari Crosson großes Talent als Gangster-Rapperin beweist oder Ursula Grossenbacher souverän wechselt zwischen Mutter und Offizierin-Domina, als sei sie einem alten Bond-Film entsprungen.
Allzu vielschichtig geraten auch Wengenroths Versuche nicht, Theweleits Thesen aufs Heute anzuwenden. Ein bisschen Anders Breivik (der soldatische Mann), ein bisschen Frank Schirrmacher (Deutschland wird längst beherrscht von Frauen, ohne dass die Männer es merken) – es geht fast unter zwischen all den Liedern.
Zu großer Form läuft der Abend dafür noch einmal am Ende auf. Dann rückt Wengeroth den Autor selbst in den Mittelpunkt. Klaus Cofalka-Adami reflektiert Klaus Theweleits Ringen mit dem Buch, das es ihm aber leider unmöglich machte, seinen Sohn gemeinsam mit seiner Frau zu betreuen. Er redet sich in Rage über die inhaltlichen Anmerkungen seiner Gattin, über ihre Ambivalenz, die seine mit großen Formulierungen geadelte Eindeutigkeit in Frage stellt. Wie lebt man zusammen? Diese Frage wirft er in den Raum, quittiert sie mit einem Achselzucken und sitzt trotzig auf einem Schemel, während die Frauen "No woman, no cry" singen.
Hier läuft dann auch Cofalka-Adami zu Höchstform auf, greift über den Typen hinaus, der die Frauen ständig erschießt, sobald sie unangenehme Wahrheiten aussprechen. Hier bietet er bar jeder Übertreibungen Identifikationsmöglichkeiten für die männliche Hälfte des Publikums. Wenn selbst der Analytiker im Alltag ins Schleudern kommt, was heißt das dann für die Männer, die im Zuge von Elternzeit erst eine Ahnung von hierarchieloser Partnerschaft bekommen haben?


dpa, Ingo Senft-Werner, 25.4.2013

Bei der Prägung des "soldatischen Mannes" ist die Frau im Wege. Der Mann muss sie und damit seine weibliche Seite vernichten. Das ist eine der Wahrheiten des Klassikers .Männerphantasien, mit dem der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit 1977 Furore machte. 36 Jahre später hat das Staatstheater Karlsruhe diese Gedanken auf die Bühne gebracht. Das Publikum feierte das Ensemble nach der Premiere ausgiebig.
Regisseur Patrick Wengenroth hat aus dem 1200 Seiten starken Werk eine nachdenkliche und zugleich muntere Nummernrevue entwickelt eine Mischung komplexer Gesellschaftskritik gemischt mit Musikstücken von Schlagern bis Techno. Die Hauptfigur Klaus (Klaus Cofalka-Adami), ein grauhaariger Mann, erzählt von seiner Doktorarbeit, von dem Versuch, die Ursachen des Faschismus zu ergründen. Dabei verfällt er selbst immer wieder in die Verhaltensweisen des .soldatischen Mannes., der durch Drill entmenschlicht wurde, der gelernt hat, dass schön ist, was wehtut..

Wengenroth setzt für "Männerphantasien" auf sein bewährtes Rezept: Er kombiniert die nicht immer leicht verständlichen philosophischen Texte mit zeitgenössischen Liedern und ihren oft einfachen Botschaften. Mit diesem Trick erdet er so manches abgehobene Gedankenkonstrukt und sorgt für den ein oder anderen Lacher.


INKA April-Mai 2013, 13.4.2013

Interview mit Regisseur Patrick Wengenroth (PDF)


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