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SWR2, Christian Gampert, 23.9.2014

Auf den Werken von Hermann Hesse beruht der Reichtum des Suhrkamp-Verlags. (…)
Kritiker halten seine Schreibweise für überholt, er sei ein Autor für Pubertierende. Dass dies nicht so ist, will nun das Badische Staatstheater in Karlsruhe beweisen. Mit einem Großprojekt heben die Karlsruher Hesses Spätwerk "Das Glasperlenspiel" auf die Bühne. (…)
Spektakulär ist das Bühnenbild: Sebastian Hannak hat einen riesigen, klinisch weißen, magischen Raum ins Staatstheater hinein gebaut, ein Sieben-Eck, dessen Wände sich trichterartig nach unten verjüngen. Auf den obersten Rand dieses Kessels werden – im vollen Rund, auf 360 Grad! – mystische Videos projiziert, die das ZKM hergestellt hat. (…)

Hermann Hesse inszeniert in seinem "Glasperlenspiel" den Kampf des "reinen" Geistes mit der Realität, die Auseinandersetzung des Intellekts mit der bösen Welt da draußen.

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Der junge Josef Knecht wird von einem priesterlich schwadronierenden "Musikmeister" zum Dienst am Geiste auserwählt. Er erhält eine Weihe und ist trotzdem mancherlei Verführungen der rohen Welt ausgesetzt, vor allem in Gestalt des jungen, karrieristischen Plinio. Dann steigt Knecht im Orden auf, wird als Spitzel auf den Benediktiner Pater Jakobus angesetzt, den Hesse als Portrait des Historikers Jacob Burkhardt konzipierte, der in Karlsruhe aber als schwuler bunter Vogel auftritt. Knecht wird nun "Magister Ludi", eine Art Ordensmeister oder Abt, entsagt aber der Macht. Er will sich als Hauslehrer verdingen und ertrinkt dann bei dem Versuch, einem schönen Knaben im Wasser nachzusteigen.
Diese konsequent homoerotische Lesart des eigentlich auf pure Geistigkeit angelegten Entwicklungsromans ist durchaus stimmig. (…)
Leider aber besteht der Großteil der dreistündigen Inszenierung aus länglichem, pathetischem Deklamations-Theater.

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Es gibt schöne optische Effekte, doch insgesamt ist die Aufführung ein Laufsteg für Pseudophilosophen.


Badische Neueste Nachrichten, Andreas Jüttner, 23.9.2014

Die Aktualität verblüfft: „Dass unser Land unser Kastalien und unsre Kultur eines Tages als einen Luxus werde betrachten, den es sich nicht mehr erlauben könne, ja sogar dass es uns, statt wie bisher gutmütig stolz auf uns zu sein, eines Tages als Schmarotzer und Schädlinge empfinden werde – das sind die Gefahren die uns drohen. Man setze nur „Theater" für „Kastalien" und schon könnte der Satz einer aktuellen Brandrede eines kulturpolitisch engagierten Theaterleiters entstammen.

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Es hat also etwas Programmatisches, wenn das Badische Staatstheater zum Saisonstart Hermann Hesses Roman „Das Glasperlenspiel" adaptiert, dessen Protagonisten eben die zitierte Sorge plagt, in einem gesellschaftlich irrelevanten Elfenbeinturm zu leben. (…) Freilich wäre die Welthinwendung des Weisen als Ansatz zur Zukunftssicherung des Theaters zweischneidig, denn Knecht scheitert schon bei seinem ersten Versuch, sich der Jugend anzunähern. (…) Das Stück (Textfassung von Nimz und dem Dramaturgen Konstantin Küspert) konzentriert sich darauf, die Ideenwelt des Romans plastisch zu vermitteln. Hesses Kunstgriff, Knechts Lebensgeschichte als Rekonstruktion aus diversen Quellen darzustellen, übersetzt die Aufführung in ein TV-Interview mit dem obersten Repräsentanten der Kastalier (Berthold Toetzke). Die Idee des Glasperlenspiels - ein Spiel mit sämtlichen Inhalten und Werten einer Kultur - spiegelt sich in der multimedialen Aufführung, die szenisches Schauspiel mit TV-Formaten und optisch höchst eindrucksvollen, assoziationsreichen Panorama-Projektionen verbindet.  

(…) Dass die inneren Konflikte der Figuren auf die Unterdrückung sexueller Triebe (zum kastalischen Prinzip gehört Besitz- und Ehelosigkeit) zurückgeführt werden, mag einseitig sein, ist aber als Interpretation in sich schlüssig und wird vom Ensemble stimmig dargestellt. In der ersten Hälfte der dreistündigen Aufführung mit dem jungen Josef Knecht (Jonathan Bruckmeier im strubbelig-genialischen Jonathan-Meese-Look) und seinem Mitschüler Plinio Designori (Maximilian Grünewald als schnöseliger Lederjacken-Rebell), ist das Ringen zwischen dem Begehren und dem Bewahren der körperlichen Distanz mitunter schmerzhaft spürbar. Die diskursive Ebene des Romans wird hier oft nur behauptet, kommt aber nach der Pause zu ihrem Recht, wenn die älteren  Protagonisten (sehr präsent und differenziert: Andre Wagner als Knecht, Frank Wiegard als Designori) in konzentrierten langen Textpassagen eine Gedankenwelt anschaulich ausbreiten. Erneut sinnlich wird es am Ende: Was Knecht antreibt, sich in den eisigen See zu stürzen, nennt der Roman einen Kampf „um die Achtung und Kameradschaft, um die Seele des Knaben". Sieht man aber, wie kokett, selbstbewusst und doch unschuldig der Junge in der androgynen Verkörperung durch Veronika Bachfischer diesen Wettstreit einleitet, und wie Andre Wagners Knecht, zwischen Lebenshunger und Scheu vor dem eigenen Trieb schwankend, hinterherstolpert - dann stellt sich die Frage nach dem Warum nicht mehr.


Elisabeth Maier, Nachtkritik, 22.9.2014

Das geistige Universum Hesses, der zwischen Pietismus und den Lehren des Hinduismus seine Mitte suchte, spiegelt der Regisseur Martin Nimz nun am Staatstheater Karlsruhe in einem Total-Theater, wie es der Bühnenerneuerer Erwin Piscator in den 1920er-Jahren entwickelte.
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Die technische Experimentierfreude des Regieteams, das vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie unterstützt wird, ist in der dreistündigen Inszenierung kaum zu bremsen. (...) Denn in der Bühnenfassung, die Martin Nimz und Konstantin Küspert mit Fingerspitzengefühl auf der Basis von Hesses Text geschrieben haben, ist alles Wesentliche enthalten. Schön offenbart sie das geistige Universum des späteren Nobelpreisträgers, der selbst in seinem Schweizer Exil vor der Wirklichkeit floh. (...)

[D]as experimentierfreudige Karlsruher Ensemble schafft den Spagat zwischen den Epochen (...), [d]enn in der Bühnenfassung, die Martin Nimz und Konstantin Küspert mit Fingerspitzengefühl auf der Basis von Hesses Text geschrieben haben, ist alles Wesentliche enthalten. (...) Nimz und die überzeugenden Schauspieler denken sich sensibel in die geistige Welt Hesses hinein.

 


Deutsche Bühne, Wilhelm Triebold, 22.9.2014

Das 600 Seite starke Buch, alles andere als ein Schmöker, wird gern als Summe des nobelpreis-nobilitierten Dichterlebens gelesen. Aus den Lehrplänen der Gymnasien ist der gedankenschwergewichtige „Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht“ zwar mittlerweile verschwunden. Aber eine gewisse Wirkung entfaltet Hesses Alterswerk nach wir vor.

Die vermutlich erste Bühnenfassung, die jetzt in Karlsruhe uraufgeführt wurde, zeichnet den Eintritt des Sinnsuchers Josef Knecht per aufwendiger Bühnenbild-Installation nach, in der die Zuschauer gemeinsam mit den Schauspielern den sich einkapselnden Eskapismus des kastilischen Lehr-Gebäudes praktisch am eigenen Leib verspüren. Ein großer geschlossener Raum ohne Türklinken, darin ein trichterförmiger Schlund, dessen Grund ebenso bespielt wird wie die schrägen Flächen und ein Rundum-Geläuf gleich hinter den Zuschauerreihen.

Das sorgt für Bewegung, die in der kontemplativen Vorlage so nicht vorhanden wäre.

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Aus dessen wohlmeinender, sektiererisch selektiven Männer-Phantasie schwitzt sie ausgerechnet das Homoerotische heraus, lässt den heranwachsenden Josef Knecht erwartungsvoll neben seinem Jugendgefährten Plinio erbeben oder eben später in reiferen Jahren ein begehrliches Auge auf dessen Sohn Tito werfen, so als ob er sich in Thomas Manns „Tod in Venedig“ verirrte. Und lehrende Patres, sowieso, nutzen jede Gelegenheit an pädagogischem Eros gern zum pädophilen Übergriff.

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Das Badische Staatstheater hat, wie man so schön sagt, „keine Kosten und Mühen gescheut“, hat die Produktion sogar über die Spielzeiten verschoben, damit die Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie, kurz ZKM, zustande kommt. Die Karlsruher Medien-Spezis steuern via 13 Beamern einige Videoeinspielungen bei, die über ein zum Teil parallel geschaltetes Programm des Instituts für Bildmedien als 360-Grad-Panoramafilmtapete in den Raum geschaltet werden.

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Jonathan Bruckmeier ist als junger Josef Knecht ein kritischer, etwas rebellischer Geist, der erst allmählich und gegen innere Widerstände auf kastilische Linie gebracht wird. Freund Plinio bleibt mit Maximilian Grünewald dagegen der leicht hysterische Außenseiter, der erst mit den Jahren (dann spielt ihn Frank Wiegard) gesitteter und gesetzter erscheint. André Wagner gibt den erwachsenen Knecht als schwächelnd Lehrkraft, ermattet auch vom Marsch durch die hermetisch-hierarchischen Institutionen.

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Termine

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