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SWR Kunscht!, 19.5.2016

Ein Team des SWR Fernsehen hat uns nach Berlin zum Theatertreffen begleitet.


BNN, Andreas Jüttner, 23.6.2015

BNN, „Stolpersteine Staatstheater“: Stück über Nazi-Opfer der Karlsruher Bühne

Was soll die Kunst sein? Kein Wolkenkuckucksheim, sondern lebensnah, dem Volk zugewandt, zugänglich für alle. Das könnte man sofort unterschreiben, oder? Klingt schließlich fast so wie jene Verlautbarungen, mit denen Bühnen landauf landab neue Wege einschlagen, um einem veränderten Zuschauerverhalten Rechnung zu tragen. Und vorgetragen werden diese Ausführungen zur Volksnähe der Kunst im gönnerhaft-verbrüdernden Tonfall, mit dem Theatermacher gern um ihr Publikum werben: Keine Angst, wir wollen nur spielen!

Mit diesem durchaus irritierenden Moment beginnt der Abend „Stolpersteine Karlsruhe“ im Studio des Staatstheaters – bis die scheinbare Gegenwärtigkeit der Reden durch das Wort „Volksgenossen“ durchbrochen wird. Und dann werden die Tiraden auch bald deutlicher: „Die Kunst ist nicht international. Die Kunst ist national“, wird da verkündet. Woraus in weiterer Konsequenz gefolgert wird: Sie darf auch nur von national angemessenen Künstlern gemacht werden. Die Umsetzung dieser Ideologie in der Nazi-Zeit bedeutete für viele, vor allem jüdische Theaterleute das berufliche Aus und danach entweder Emigration und Deportation. Die Vorgänge in Karlsruhe, wo die NSDAP schon bei der Wahl 1930 stärkste Partei geworden war, sind Thema dieses Stadtgeburtstag-Beitrages des Badischen Staatstheaters, das Licht auf den wohl düstersten Fleck seiner eigenen Geschichte wirft …

Stets reflektiert die Aufführung ihre Recherche-Basis: Einen Großteil der knapp zweieinviertel Stunden sitzt man mit dem vierköpfigen Ensemble um einen Tisch, dessen Form wie ein halbes Hakenkreuz wirkt. Die Darsteller – Veronika Bachfischer, Antonia Mohr, Jonathan Bruckmeier und Gunnar Schmidt – spielen sowohl sich selbst, wie sie Akten wälzen, als auch die Betroffenen. Dabei verzichtet der Text von Regine Dura auf szenische Ausschmückungen der zugrunde liegenden Dokumente. Zu Recht, denn der geschäftsmäßige Tonfall der Briefwechsel, in denen das Flehen um Hilfe mit kalter Förmlichkeit abgelehnt wird, macht spürbar, wie unbarmherzig gründlich sich der damalige Terror eine juristisch-bürokratische Legitimation gab.

Für theatrale Spannung sind die Positionen bei diesem Thema allerdings zu eindeutig: Hier der Machtapparat, dessen Menschenverachtung mit der Erinnerung an eine zynische Gefangenen-Überführung zum Lied „Das Wandern ist des Müllers Lust“ spürbar wird, dort die wehr- und fassungslosen Opfer. Aufgebrochen wird das nur durch kleine Irritationen wie die eingangs erwähnten Reden und durch Szenen wie jene, in der Paul Gemmeckes vergebliches Ringen gegen seine Entlassung kontrastiert wird mit der Selbstunterwerfungs-Ideologie aus Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“.

Und dann ist da noch der Schluss: Eine 1986 interviewte Zeitzeugin erinnert sich an die „drollige“ Situation, dass nach der Entlassung aller musikalischen Leiter niemand mehr da war, um ein Konzert zu Hitlers Geburtstag zu dirigieren – worauf der junge Solorepetitor Joseph Keilberth befördert wurde. Zitat: „Das kann man ihm nicht vorwerfen, man muss im Leben auch mal Glücksfälle haben.“ 

 

Deutschlandfunk, Cornelie Ueding, 22.06.2015

Uraufführung von "Stolpersteine Staatstheater" - Die "Gleichschaltung" der deutschen Bühnen

Eine Ermittlung in eigener Sache: der Sache des Theaters. Am Beispiel des Staatstheaters Karlsruhe. Wie war das damals vor 82 Jahren, als die jüdischen Kollegen plötzlich von der Bildfläche verschwanden? Soubretten und Souffleusen, Chargen und Charakterfach, Intendanten und Dirigenten.
Zu spät? Nichts Neues? Schon wieder? Oder eine Art Pflichtübung – zum 300-jährigen Stadtjubiläum ein Blick auch auf die Abseite der Erfolgsgeschichte der Stadt Karlsruhe?

Spät – ja. Es ist schon erstaunlich, wie lange Institutionen, Firmen, Ämter und Behörden sich Zeit nehmen, ihre eigene Geschichte ins Visier zu nehmen. Aber dieses unaufgeregt unpathetische, akribisch genaue und doch anrührende Ermittlungsverfahren ist ganz neu: Keine betroffene Anklage – dafür Studium der Aktenlage.

Die Banalität des Bösen
Mit zäher Präzision rekonstruiert das Team um Regisseur Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura den weiteren Verlauf in Originalzitaten: wie jemand aus dem Spielplan verschwand, wie aus kleinen Schikanen immer größere wurden, schließlich die Nichtverlängerung, Exil, "geschnappt" werden... Endstation Auschwitz oder Ravensbrück. Das Ganze mitten in einem Rausch kollektiver Ergriffenheit, Aufbruchswillen, Opportunismus, aufgeblähter Wichtigtuerei und Blockwarts-Mentalität. Immer in Form bürokratischer Verbindlichkeit bis hin zum Behördenschreiben betreffs "Abwanderung", das rechtsverbindliche Forderungen enthält: Man habe in aller Ruhe die Vorbereitungen zu treffen, die richtigen Dinge mitzunehmen und dürfe vor allem das Geld für die Fahrkarte zum "Zielort" nicht vergessen.

Die Banalität des Bösen bekommt in Karlsruhe noch einen Hauch badensischer Verbindlichkeit, gepaart mit der Bösartigkeit geschäftiger Banalität. Zugleich wird vorgeführt, wie man die Gemeinschaft der Kunstliebhaber gleich mitmanipulieren kann. Ein fröhlich wippendes Animations-Team setzt uns allen, die wir als Zuschauer zwischen den vier Schauspielern an einem riesigen zackigen Tisch sitzen, mundgerecht völkische Delikatesshappen vor: passgenau und Spass-genau.

Anhand von vier exemplarischen Einzelfällen wird den unbeachteten, längst verschmutzten und kaum mehr von der Umgebung abgehobenen Stolper-Pflaster-Steinen ihre Geschichte gegeben. Und die Bühne wird zum theatralischen Stolperstein ihrer selbst, wenn vorgeführt wird, wie Texte von Goethe bis Kleist, vom harmlosen Volksstücke bis zur Führerrede in den Dienst eines Denkens gestellt wurden – gestellt werden können. So leicht, plausibel, selbstverständlich und freundlich zugewandt, dass es einen gruselt. In Anbetracht des Geschehens nehmen Zuschauer und Schauspieler gemeinsam an dieser Vivisektion gemischter Gefühle teil. Dokumente kursieren, Akten werden durchflogen, Aktenvermerke zitiert, dialogisch aufgelöst, nachgespielt, dann wieder protokollartig verlesen, vorgeführt, dahingesagt: eine sehr seltene virtuose Überblendung von Beiläufigkeit und Zynismus.

Das Ganze ohne historisierende oder gar mahnend-aktualisierende Anmutung – und doch ist der Blick in die Gegenwart verlängert. Alles so gesagt, als ob es eben erst geschähe – im Vorfeld einer Apokalypse, von der keiner weiß noch wissen konnte. In dieser unsagbaren Mischung aus latentem Opportunismus, listiger Anpassung, strategischer Begeisterung und Mimikry, wie sie fast zeitlos, uns jedenfalls gut bekannt ist. Am Ende spricht eine "Zeitzeugin", etwas peinlich berührt, im Interview davon, wie unangenehm und traurig das doch alles gewesen sei. Aber man sei in dieser Situation eben so ohnmächtig gewesen. Ein wenig Glück gehöre eben auch dazu. Zum Überleben.


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