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Badische Neuste Nachrichten, Andreas Jüttner, 21.9.2021

Einen Kinoerfolg wie „Toni Erdmann“ allerdings wünscht sich wohl jeder und jede Filmschaffende. Der dritte Spielfilm der aus Karlsruhe stammenden Regisseurin und Drehbuchautorin Maren Ade erlebte ab seiner Premiere in Cannes 2016 einen Triumphzug bei Publikum und Preisjurys, der 2017 fast mit dem Oscar gekrönt worden wäre. Winfried und Ines sind die Hauptfiguren dieser herausragenden Tragikomödie, die sowohl eine sehr genau beobachtete Vater-Tochter-Geschichte erzählt wie auch mit sachlicher Beobachtung den Irrwitz des entfesselten Neoliberalismus offenlegt.
Am Badischen Staatstheater Karlsruhe gibt es „Toni Erdmann“ nun auch auf der Bühne zu erleben. Mit der von Dezember 2020 verschobenen Uraufführung verfügt das Haus nun gleich zum Saisonstart über eine Neuproduktion mit doppelter Zugkraft. Denn neben dem bekannten Titel wartet die Inszenierung von Maria Viktoria Linke mit dem Publikumsliebling Timo Tank in der Hauptrolle auf. Dieser stemmt die große Herausforderung, in die Fußstapfen von Peter Simonischek vom Wiener Burgtheater zu treten, der das filmische Vorbild geliefert hat. Zunächst zeichnet Tank Winfried pointiert als Misanthropen, der mit schrägen Scherzen seine Mitmenschen auf Distanz hält und dabei zugleich um ihre Aufmerksamkeit buhlt. Ein Mensch, der nur seinem Hund wirkliche Zuneigung zu schenken vermag und bei dessen Tod sich selbst zu verlieren scheint.
Als er sich auf seine Vaterrolle besinnt und Ines unangemeldet in Bukarest besucht, steckt diese gerade in höchst angespannten Verhandlungen mit einer Ölfirma. Dort steht der Alt-68er Winfried mit seiner Jutetasche wie ein Fremdkörper zwischen all den alerten Unternehmensberatern herum. Dieser Kontrast öffnet den Blick auf die Exzesse eines Wirtschaftssystems der Geldvermehrung ohne Wertschöpfung. Mit starker Präsenz und facettenreicher Darstellung gelingt es Lucie Emons, hinter Ines’ Fassade der knallharten Geschäftsfrau viele Untertöne mitschwingen zu lassen. Wenn Ines eine neue Verhandlungsstrategie durchboxt, wird spürbar, dass dieses Geschäft in seinem kompromisslosen Konkurrenzkampf durchaus seinen Reiz hat. Doch auch ihre innere Verlorenheit, die sie mit ihrem Vater stärker verbindet als beide zunächst ahnen, schimmert immer wieder durch.
Im Bemühen, zu Ines durchzudringen, erfindet Winfried die Kunstfigur Toni Erdmann: Einen aufdringlichen Typen, der trotz schlecht sitzender Perücke, schlechterem Gebiss und noch schlechteren Geschäftskenntnissen dank seines großspurigen Auftretens akzeptiert wird. Wie sich Ines und Winfried durch den Streit um diese bizarre Maskerade wieder einander annähern, wird von Emons und Tank glänzend gespielt.

 


Badisches Tagesblatt, Christiane Lenhardt, 21.9.2021

Timo Tank spielt Toni Erdmann. Mit seiner Ernsthaftigkeit und dem freundli- chen, leicht absurden Humor ist der seit Jahren in vielen Hauptrollen am Staatstheater erfolgreiche Schauspieler präde- stiniert für diese Rolle. Lucie Emons hat ihre Tochter-Rolle eng angelehnt an die zielstrebige, aber auch leicht melancholische Art, wie Sandra Hüller die Business-Frau im Film spielt. Die Karlsruher Schauspielerin trägt diese bedrückende, aus dem Ruder laufende Vater-Tochter-Geschichte glaubhaft mit. Indem er sich selbst nicht so ernst nimmt, bringt Vater Erdmann das ganze System, in dem die Tochter lebt, immer ein bisschen in Unruhe. Er legt die Schwächen dieser Welt offen, gleichzeitig ist es ein Versuch, den Schlüssel zu dieser verschlossenen Welt der Tochter zu finden. (…)
Regisseurin Linke hat die Geschichte mit erprobten Theaterversatzstücken, Maskentheater und Goldflitterregen, innerhalb eines kurzweiligen zweistündigen Theaterabends gut umgesetzt – und den Stoff durchmoderiert. Was soll man auch anderes machen? Am Perfekten kann man nicht herumdoktern. Ein lohnenswerter Theaterabend zum Neustart.


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