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Süddeutsche Zeitung, Egbert Tholl, 6.10.2021

"Diese Medea ist keine Kindsmörderin, keine Brudermörderin und auch nicht die Mörderin der Braut ihres Geliebten. Sie ist eine Gefangene, das schon, aber das sind alle hier, in diesem faszinierenden Glaskastenlabyrinth, mit dem Jo Schramm die Bühne im Staatstheater Karlsruhe vollgestellt hat. Sie, Medea, kennt die Geheimnisse der Städte, egal ob Kolchis oder Korinth, sie kennt die Abgründe deren Herrscher, die ihre Macht auf der Ermordung der eigenen Kinder bauten. In dieser Medea gerinnen Jahrtausende eines Mythos, und nun sitzt Sarah Sandeh da, die diese Medea mit rauer Emotionalität, mit Liebe und Stolz füllt, Glutofen einer selbstbewussten Frau: "Ich bin keine junge Frau mehr, aber wild noch immer, das sagen die Korinther, für die ist eine Frau wild, wenn sie auf ihrem Kopf besteht."
Das passt. Anna Bergmann, Schauspieldirektorin am Staatstheater Karlsruhe, inszeniert Medea. Aber nicht eine der antiken Überlieferungen. Sie adaptiert Christa Wolfs Roman "Medea. Stimmen" für die Bühne, schuf aus den Monologen, die Wolf den einzelnen Figuren zuschreibt, eine dialogische Fassung. (…)"

"In "Medea. Stimmen" stehen starke Frauen auf der Bühne. Die grandios brodelnde Sarah Sandeh, das eigentümliche Körperwesen Swana Rode als Medeas einstige Schülerin, Sina Kießling als Akama, Machtstrategin in Korinth, eine gnadenlose Margaret Thatcher - aber wieso sollen Frauen in Machtpositionen freundlicher sein als Männer?
Die Aufführung hat etwas Redundantes, besitzt aber irrsinnige Kraft und eine eisige Temperatur, in der man sich Brandblasen holt. (Zeichentrick-)Filme erzählen die Vorgeschichte, Jason (Thomas Schumacher) raubt mit Medeas Hilfe das Goldene Vlies aus Kolchis, das stark an die DDR erinnert - ein Verweis auf Christa Wolfs Biografie. Dem gegenüber steht das kapitalistische Korinth, in dem Glauke, die Königstochter, aus Gründen des Machterhalts an Jason verschachert werden soll. Voller Herzeleid: Frida Österberg, Opernsängerin im Schauspielensemble, spielt Glauke und singt Arien aus Cherubinis "Medea"-Oper, hochgradig ergreifend, umgeben von einem knisternden Sounddesign (Hannes Gwisdek). Sie ist das umgekehrte Spiegelbild Medeas. Opfer die eine, das wilde Gegenmodell die andere."


nachtkritik, Steffen Becker, 2.10.2021

"Anna Bergmanns Inszenierung zeigt argwöhnische Menschen, die auf jede Regung der Bühnen-Medea fixiert sind. Dass das auch für das Publikum gilt, liegt vor allem an der Darstellung von Sarah Sandeh. Ihre Medea verzweifelt an der Welt und an sich selbst. Eine Frau, die das falsche Spiel um sich herum erkennt, aber auch nicht weiß, was richtig gewesen wäre. Sie wütet, sie weint, sie begehrt auf, sie gibt sich auf. Sandeh verleiht ihrer Medea tragische Fallhöhe und zeigt die antike Figur dennoch als Mensch, mit dem sich ein Publikum 2021 emotional identifizieren kann.
Regisseurin Bergmann macht die Inszenierung zu einem Fest der Frauen. Medeas Schülerin Agameda verrät sie aus Missachtung. Swana Rode spielt das als neurotisches Pick-Me-Girl. Das darum bettelt, als Frau einen Platz im patriarchalen System zu finden, indem es genau nach seinen Regeln spielt. Den Berater des Korinther Königs macht Bergmann zur Astronomin Akama. Sina Kießling spielt das mit Betonfrisur und einer Mischung aus Thatcher (Frau mit Macht, die ihr Frau-Sein verleugnet) und Intrigantin im Hintergrund (denn diskret dürfen auch Frauen herrschen). Kießling bringt das so fies, herablassend, aber auch selbstreflektierend auf die Bühne, dass es definitiv zu den Highlights des Abends gehört."

"Die Stärke der Regie zeigt sich aber auch daran, dass sie trotz Frauen-Fokus die männliche Hauptfigur mit Facetten ausstattet. Thomas Schumachers Jason ist als Wikinger-Beau gecastet, dem aufgrund von Geschlecht, Status und Aussehen alles zufliegt, was Medea verwehrt bleibt. In "Medea. Stimmen" ist er dennoch kein Abziehbild. Schumacher zeigt ihn im Zwiespalt, als jemand, dem die Entwicklung zu Medeas Vernichtung nahe geht, aber die ihr innewohnenden Strukturen mitträgt."


Badische Neuste Nachrichten, Andreas Jüttner, 4.10.2021

"Medea-Mythos radikal umgedeutet: Im starken Ensemble beeindruckt allen voran Sarah Sandeh. In der Titelrolle an fast jeder Szene beteiligt, trägt sie den Abend mit einer wahren Tour de Force über den Abstieg einer vor Energie strotzenden Kämpferin in die Verzweiflung, die sie zum wimmernden Bündel Elend macht, als sie von ihren Kindern getrennt wird. Ebenfalls herausragend ist, wie Swana Rohde die seelischen Verkrümmungen der von Ehrgeiz und enttäuschter Liebe zerfressenen Medea-Schülerin Agameda sowohl mimisch als auch körperartistisch umsetzt. Und Sina Kießling zeigt als leutselig-eiskalte Strippenzieherin Akama, die das Volk gegen Medea aufwiegeln lässt, dass Menschenverachtung kein Privileg männlicher Machtpolitiker ist. Auch Thomas Schumacher als Jason, Frida Österberg als (grandios singende) Glauke, Jannek Petri als Leukon und Andrej Agranovski als Absyrtos setzen darstellerische Akzente."


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